Mädchen einen Fink anlockend
(~1884 bis ~1885)


Anton Romako (*1832, †1889)

Landessammlungen Niederösterreich

Romakos Auseinandersetzung mit der sichtbaren Wirklichkeit führte zu Ergebnissen, die alle als der Normalität etwas entrückt bezeichnet werden können. Seine Bilder haben immer auch etwas Befremdliches, zumindest Ungewöhnliches. Während sich Romakos Konkurrent Hans Makart vor allem dem Historienfach widmete, beschäftigte sich Romako überwiegend mit der Genremalerei. Diese - vielleicht sogar programmatische - Entscheidung für die Welt im Kleinen ermöglicht es ihm, der Psychologisierung der dargestellten Menschen und der Herausarbeitung grundsätzlicher Lebenssituationen besonderes Augenmerk zu schenken. Seine Bilder sind immer auch Zustandsschilderungen einer ganz bestimmten menschlichen Befindlichkeit.
Auch im "Mädchen einen Fink anlockend" wird mehr vermittelt als nur eine Mädchen-Tier-Natur-Idylle, geht es doch um Zustand, Befindlichkeit und Sehnsucht schlechthin. Ein armes junges Mädchen, das mit dem Sammeln von Holz beschäftigt ist, trifft auf einen im zarten Geäst einer Birke sitzenden Finken. Mit ausgestreckter Hand versucht sie ihn zu locken. Sehnsüchtig schaut sie hinauf, gleichzeitig wissend, dass sie keine Chancen hat. Die Leichtigkeit und Unbekümmertheit des Seins manifestiert sich in dem kleinen Vogel; die Erdgebundenheit, Arbeit und Plage menschlichen Lebens findet im Mädchen Niederschlag. So wird das Bild zum Sinnbild für die Sehnsucht des Menschen, die eigenen Grenzen zu überwinden und emporzusteigen in eine bessere, weniger verhaftete, heiterere Welt.
Formal kündigt sich schon der Romakosche Frühexpressionismus an, den ein "rigoros zupackender", zeichnerischer Pinsel charakterisiert, eine Art und Weise, die Dinge zu sehen, die sich - entlang der Wirklichkeit vortastend - um eine neue, eigene, gültige Natur bemüht.
(Quelle: H. Giese, in: Waldmüller bis Schiele, Meisterwerke aus dem NÖ Landesmuseum, 2002, S. 116)