Zerfallende Mühle
(1916)


Egon Schiele (*1890, †1918)

Landessammlungen Niederösterreich

Egon Schiele liebte die symbolische Darstellung der Vergänglichkeit, des menschlichen Daseins zwischen Geburt, Sexualität und Tod. Er verstand dies sowohl in figürlichen Szenen als auch in Motiven, wie etwa einem herbstlichen Baum oder einer welken Sonnenblume, zu thematisieren.
Die "Zerfallende Mühle" von 1916 ist ebenfalls von dieser Inhaltlichkeit geprägt. Schiele schilderte die morbide Schönheit eines "verwesenden", von Menschenhand geschaffenen Gebäudes, morsches, unter der Last des Wassers nachgebendes Holz, zusammenbrechende Bauteile. An der Situation ist nichts, was Sentimentalität oder Trauer hervorrufen könnte. Vielmehr bringt sie eine Hoffnung zum Ausdruck, die Hoffnung auf die ewig junge, sich beständig erneuernde Kraft der Natur. Das aus dem desolaten Mühlgang hervorquellende Wasser kann als Sinnbild hierfür angesehen werden. Auch die den Bau überziehenden Moose und Flechten sind erste Anzeichen für eine nicht aufzuhaltende Rückeroberung durch die Natur.
Die dargestellte Mühle stand an der großen Erlauf in der Nähe von Mühling bei Wieselburg. Schiele war während seines Kriegsdiensts im Mai 1916 als Schreiber nach Mühling versetzt worden, wo ein Gefangenenlager für russische Offiziere bestand. Noch im Mai dürfte er die Mühle auf einem Spaziergang entdeckt haben. Eine erste Bleistiftskizze datiert aus dieser Zeit. Die großformatige Ausführung in Öl schuf Schiele seinem Kriegstagebuch zufolge vom 1. bis 9. Juni.
In Mühling entstanden weiters mehrere Porträtskizzen von russischen Kriegsgefangenen und seinen Vorgesetzten. Obwohl seiner künstlerischen Arbeit großes Interesse entgegenbracht wurde und er dadurch Freiheiten genoss, bemühte sich Schiele um eine Versetzung nach Wien, die er schließlich 1917 erreichte. Noch im selben Jahr präsentierte Schiele seine "Zerfallende Mühle" in München und in seinem Todesjahr 1918 in der Wiener Secession.
(Quelle: W. Krug, in: Waldmüller bis Schiele, Meisterwerke aus dem NÖ Landesmuseum, 2002, S. 202)