Die figural verzierten Bodenfliesen aus Ton stammen aus der mittelalterlichen Veitskapelle des Stiftes Altenburg, die sich nördlich des Chorraums der Klosterkirche befindet (heute im Keller). Die erstmals 1265 urkundlich erwähnte Kapelle war ursprünglich eine adelige Grablege und wurde im Zuge der Gründung eines Spitals durch Hadmar III. von Sonnberg im Jahr 1308 zu einer Spitalskirche umgebaut. Der Fliesenboden wurde knapp danach bis etwa 1315/20 verlegt.
Auf den Fliesen sind Tiere bzw. mythologische Wesen und Tierkreiszeichen dargestellt, die heilsgeschichtliche Bedeutung haben. Insgesamt lassen sich 11 Typen unterscheiden: Esel, Steinbock, säugende Wildsau, Löwe, Greif, Schütze (Reiter mit Bogen), Hirsch, Einhorn, Jagdhund, Hirschkuh (?), Kentaur. Quellen der geistlichen Deutung ist die Bibel, deren allegorische Auslegung vor allem auf die Kirchenväter zurückgeht, sowie der sog. Physiologus, eine anonym zwischen 200 und 400 n. Chr. verfasste griechische Naturkunde. Das Werk befasst sich mit Tieren, Pflanzen und Steinen, wobei bei den Tieren (auch Fabelwesen) deren Eigenschaften, die daraus abzuleitende symbolische Bedeutung und der Bezug zur christlichen Heilslehre und Christus im Mittelpunkt stehen.
So galt das Einhorn, ein pferdeähnliches Fabelwesen mit einem Stirnhorn, als das edelste aller mythischen Tiere, das das Gute und Reine symbolisiert und sich nur von einer Jungfrau fangen und zähmen lässt. In der christlichen Ikonografie ist das Einhorn Symbol für Christus, Maria, die Menschwerdung und die Taufe. Die Darstellung auf dem Kapellenboden steht im Zusammenhang mit der symbolischen Deutung des Fußbodens als Fundament des Glaubens und Kampfplatz zwischen Gut und Böse.
Der Greif, ein riesiges mythisches Mischwesen aus den königlichen Tieren Adler und Löwe, galt als Sinnbild der Herrschaft und war daher ein beliebtes Wappentier. In seiner symbolischen Bedeutung steht er für die ambivalenten Seiten der Macht: Klugheit, Voraussicht, positive Kraft und Christus – Wildheit, Unheil, Tod und Satan. In der christlichen Kunst ist der Greif vor allem ein Auferstehungs- und Taufsymbol. Die Darstellung auf der Bodenfliese wird als Sinnbild der durch Christus verliehenen Kraft gegen die Versuchungen (Dämonen) gedeutet.
(Quelle: G. Blaschitz/M. Krenn, Bodenfliesen als Ornament und Symbol, in: Fundberichte aus Österreich 33, 1994, S. 81ff.)