Das von Robert Russ geschaffene Gemälde "Kalvarienberg bei Stift Lilienfeld" gehört zum ältesten Bestand des Niederösterreichischen Landesmuseums. Stilistische Merkmale lassen auf eine Entstehung des Gemäldes um 1907/1908 schließen. Insbesondere die Lichtsituation, die den oberen Teil des Motivs im Sonnenlicht strahlend und den unteren beschattet zeigt, lässt sich zu dieser Zeit auch bei einigen anderen Werken von Russ beobachten. Kräftig leuchtende Farben in der oberen Bildhälfte stehen in Kontrast zu dem sehr kühl wirkenden, jedoch unglaublich nuancenreich und buntfarbig geschilderten Schattenbereich. Auch maltechnisch zeigt dieses Spätwerk neue, sehr modern wirkende Züge, eine Modernität, die zum Teil auffällige Parallelen zum Alterswerk Rudolf Alts aufweist. In Auseinandersetzung mit dem französischen Impressionismus, aber auch mit der Malerei der Secessionisten erreichte Russ seinen letzten Schaffenshöhepunkt.
Seine besondere Liebe gehörte der Landschaft Südtirols. Russ hielt sich hier seit den 1870er Jahren regelmäßig auf. In der Gegend um Bozen und Meran, aber auch später am Gardasee fand er die Lichtstimmungen, die ihn zu seinen Werken inspirierten und die ihm schon zu Lebzeiten den Titel "Meister der Beleuchtungseffekte" einbrachten. In Niederösterreich fand er vergleichbare Stimmungen im Weinviertel und vor allem in der Wachau, wo eine Reihe hochrangiger Arbeiten entstand.
(Quelle: W. Krug, in: Waldmüller bis Schiele, Meisterwerke aus dem Niederösterreichischen Landesmuseum, 2002, S. 122)