Die Kirche in Jedenspeigen spiegelt zwei Phasen des Historismus wieder. Nach den Plänen des Wiener Architekten Franz Sitte wurde 1858/59 nördlich der bestehenden Anlage ein Seitenschiff angefügt und die Kirche umgestaltet. Zwei Jahre davor war in Wien eine programmatische Schrift zum Kirchenumbau unter dem Titel "Zu der projektirten monumentalen Rekonstruirung und Erweiterung der Kirchen in Jedenspeigen" erschienen. Die kleine Pfarrkirche von Jedenspeigen sollte als Denkmal an der Stelle entstehen, an welcher 1278 die Entscheidungsschlacht zwischen König Ottokar von Böhmen und König Rudolf von Habsburg stattfand; mit diesem Bau werde "auch Österreich die Wiege seiner Kaiser-Dynastie mit einem herrlichen Schmuck" zieren, "wie Speyer die Kaisergräber und Frankfurt die Krönungsstätte der Kaiser. Dann wird diese Kirche zugleich die richtige Opferstätte sein, von deren Altar tagtäglich der heiße Dank zu Gott emporsteigt für die geistigen und leiblichen Segnungen, welche der barmherzige Vater im Himmel den Völkern Österreichs durch seine Herrscher aus dem Hause Habsburg über ein halbes Jahrtausend schon so reichlich zu Theil werden ließ."
Im Figurenschmuck sollte laut dieser Schrift der Gedanke der Barmherzigkeit ausformuliert werden. "Damit aber die Gemeinde die Übung der Barmherzigkeit auch an einem Menschen schaue und so erlerne, so kommt das Leben eines Helden der christlichen Barmherzigkeit, des hl. Bischof Martinus, welcher der Patron des hiesigen Kirchengebäudes ist, in einem Cyclus von Bildern zur Darstellung. In den Bildern außen am Bauwerke der Kirche wird der Heilige dargestellt in seinem tugendhaften Leben als Jüngling und Krieger; in den Bildern im Inneren der Kirche erscheint dann das barmherzige gottgefällige Wirken des Heiligen als Geistlicher und Bischof. - Diese Bilder sind jedoch nicht zufällig angebracht; sie sind nothwendig zur Vollständigkeit des Bauwerkes und erscheinen mit ihm verwachsen."
Die Ausstattung der Kirche zog sich bis in die 90er-Jahre hin. Für diese späte Phase lieferte auch Dombaumeister Friedrich von Schmidt Pläne, so für den 1883 fertiggestellten Turmhelm und für den neogotischen Flügelaltar. Er entwarf u. a. auch die Grisaillefenster, die durch die Firma Geyling ausgeführt wurden.
(Quelle: W. Kitlitschka, Historismus & Jugendstil in Niederösterreich, 1984)