Friedrich Gauermann war wohl eine der am häufigsten porträtierten Künstlerpersönlichkeiten des 19. Jahrhunderts. Amerling, der nach Studien in London und Paris zu einem der begehrtesten Portätisten Wiens aufgestiegen war, stand mit der Familie Gauermann zumindest seit Beginn der dreißiger Jahre in Kontakt. 1832 schuf er zwei Porträts von Gauermanns Schwester Marie. Gleichzeitig machte er ihr einen Heiratsantrag, der aber offenbar nicht erhört wur-de. Amerling ehelichte wenig später eine Hauptmannstochter, und Marie im Februar 1833 Wilhelm Pollak, einen Künstlerkollegen und Freund ihres Bruders, Amerling hatte auch Pollak, und zwar in den Jahren 1826 und 1828, porträtiert.
1836 führte Gauermann im Auftrag Amerlings "Eine Alpenwirtschaft vom Untersberg in Salzburg mit vielen Tieren aus". Im Gegenzug schuf Amerling zwei Porträts von Gauermann.
Das ovales Brustbild zeigt Gauermann im Alter von etwa vierzig Jahren am Höhepunkt seiner künstlerischen Schaffenskraft. Amerling brachte mit diesem Gemälde nicht nur einen Beweis für seine Meisterschaft in der Wiedergabe des Stofflichen, es gelang ihm auch hervorragend, seinen Künstlerkollegen zu charakterisieren. Sehr deutlich erscheint vor allem die Diskrepanz zwischen der steif wirkenden, bürgerlich-vornehmen Kleidung und dem fast unbändigen Temperament des "Naturburschen" Friedrich Gauermann, das besonders in dessen lebendigem, scharfen Blick zum Ausdruck kommt.
(Quelle: W. Krug, in: Waldmüller bis Schiele, Meisterwerke aus dem NÖ Landesmuseum, 2002, S. 22)