Wiener Neudorf


Gemeinde Wiener Neudorf

Ortsgeschichte

Die Marktgemeinde Wiener Neudorf liegt im Wiener Becken östlich der Bezirkshauptstadt Mödling. Das Gemeindegebiet wird vom Mödlingbach in West-Ost-Richtung durchflossen. Das Ortsgebiet umfasst keine weiteren Katastralgemeinden bzw. Ortschaften. Ortsteile sind das südlich des Autobahnzubringers der B11 sich ausdehnende Industriezentrum NÖ-Süd und die Mitterfeld-Siedlung nördlich der Hauptstraße.

Die Gegend um den Mödlingbach ist seit der Jungsteinzeit besiedelt. Vor allem am Mödlinger Frauenstein und in Vösendorf konnten bronzezeitliche Siedlungen und Gräberfelder nachgewiesen werden. Aus der Eisenzeit finden sich Spuren der Hallstattkultur und La-Tène-Kultur, wie Fundplätze bei Guntramsdorf und Laxenburg zeigen. Nach der Völkerwanderungszeit siedelten sich bayrische und fränkische Bauern an. Nach der erfolgreichen Niederschlagung der eindringenden Ungarn 955 in der Schlacht am Lechfeld, wurde die Ostgrenze erneut durch Siedler verstärkt. Im 11. Jahrhundert war die Umgebung von Wiener Neudorf wohl Teil dieser Grenzmark der Babenberger.

Die ersten urkundlichen Erwähnungen fallen in das 12. Jahrhundert. Da es allerdings allein in Niederösterreich mehr als ein Dutzend Orte namens niuwendorf, newdorff etc. gab, erschwert dies eine eindeutige Identifizierung der urkundlichen Eintragungen mit dem heutigen Wiener Neudorf. Auf sicheren Boden dürften wir uns mit einer allgemein in das Jahr 1176 angesetzten Urkunde des Zisterziensterstiftes Heiligenkreuz bewegen: Mit dieser schenkte Heinrich II. Jasomirgott dem Stift das Dorf Sigenvelde (Siegenfeld) und ferner 16 Güter in der Umgebung, eines davon in Nuwendorf. In der Folge dürfte Neudorf in den Besitz der in Mödling ansässigen Nebenlinie der Babenberger gekommen sein. Ihre Ministerialen traten als Verwalter in Neudorf auf, so etwa Ortolfus, cellarius ducis (Kellermeister des Herzogs) in 1206. Mit dem Tod des letzten „Herzogs“ von Mödling 1236 ging sein Besitz wieder an die Hauptlinie über.   

Die Entwicklung der Siedlung begünstigte ihre Lage an der seit der Römerzeit wichtigen Verbindung von Wien in den Süden. Die sog. Triester Straße – die spätere B 17 – führt von Wien über den Semmering, durch die Steiermark und Kärnten nach Mestre. Bereits 1227 beschrieb sie der Minnesänger Ulrich von Liechtenstein in seiner Venusfahrt. Als wichtige Lebensader für Handel und Verkehr stellte sie auch eine gute Einnahmequelle dar. Denn eine ihrer zahlreichen Mautstationen stand in Neudorf bei der Brücke über die Mödling. Vermutlich wurde hier bereits seit der Mitte des 13. Jahrhunderts Maut eingehoben, eine einträgliches Einkommen, wie die häufigen Verpfändungen der Einnahmen durch die Landesfürsten zeigen.

Aus dem Jahr 1441 stammt die erste Erwähnung einer Kapelle, die 1493 als Sannd Wolffgang Capellen bezeichnet wird. Sie stand auf dem Platz des ehemaligen Rathauses. Die Quellenlage zu den Besitzverhältnissen der Herrschaft Neudorf ist bis gegen Ende des 15. Jahrhunderts unsicher. Ab 1492 waren die Auer von Herrenkirchen die Besitzer der Veste Neudorf. Ihnen folgten die von Karling. Im 16. Jahrhundert dürfte bereits die Markterhebung erfolgt sein, allerdings fehlen Urkunde, die dies belegen. Das Bereitungsbuch von 1590/91 – eine Aufzeichnung aller behausten Güter und Feuerstellen, zur Einhebung der Haussteuer angelegt– zählt 83 bestehende Güter, die u.a. im Besitz der Herren von Karling, des Deutschen Ordens, des kaiserlichen Jägermeisters Auersperg, des Pfarrers von Laxenburg und des Stiftes Heiligenkreuz waren.    

Die Besitzer der Herrschaft Neudorf wechselten häufig. 1631 übernahm Heinrich Kielmann von Kielmansegg  das Anwesen. Zu seiner Zeit war die Veste bereits zum viergeschossigen Renaissanceschloss mit Ecktürmen, Ummauerung und Wassergraben ausgebaut, wie sie der Stich von Georg Matthäis Vischer zeigt. Auch Neudorf blieb von den Kriegsunruhen und Pestläufen des 17. Jahrhunderts nicht verschont. Da der Ort durch Rebellionen und Kriegsunruhen auf das äußerste ausgeplündert und ruiniert war, verlieh ihm Kaiser Ferdinand II. 1630 weitere Privilegien, Im zweiten osmanischen Ansturm 1683  wüteten deren bewaffnete Streitscharen auch in Neudorf. Dem Feuer fielen u.a. die Kapelle, das Landguett Neudorff und dabei sämtliche alte Urkunden zum Opfer. Aus dem Jahr 1686 ist ein Banntaiding (auch Weistum = Aufzeichnung der mündlich überlieferten Rechtssätze) für Neudorf und Biedermannsdorf überliefert.

1733 erwarb Sigmund Graf von Kollonitz, Kardinal und Erzbischof von Wien die Herrschaft Neudorf und machte sie zur Sommerresidenz. Eine seiner ersten Taten war die Herausgabe einer Polizeiordnung für Neudorf, Möllerdorf und Biedermannsdorf. Wie die unter Maria Theresia erfolgten Erhebungen zeigen, waren 1751 an Gewerben je ein Bäcker, Wagner, Fassbinder, Weber, Schuster und Tischler vertreten. Es gab ein Wirtshaus und einen Kramer-Laden.

Nach der Zerstörung der alten Kapelle war man 1688 gleich an den Wiederaufbau gegangen. Die Ausstattung stifteten Neudorfer Familien. Auf den neuen Hochaltar errichtete man ein Marienbild „Maria Schnee". 1750 war der Kirchturm fertiggestellt. Trotz aller Bemühungen blieb St. Wolfgang weiterhin eine Filiale der Mödlinger Pfarre, obwohl oder gerade weil die Kirche gut dotiert war. Nur dreimal im Jahr wurde in Neudorf eine Messe gelesen. Dies änderte sich erst durch die neue Herrschaft: Graf Kollonitz setzte einen Priester als Benefiziaten ein und dotierte das Benefiziat mit 4000 Gulden. Mit dem Amtsantritt Kardinal Christoph Anton Graf Migazzi (1757–1803) sollte sich die Situation von Neudorf nochmals verbessern. 1777 veranlasste der Kardinal den Bau einer neuen Kirche. Die Kosten dafür trug die Erzdiözese Wien. Der Bau überrascht nicht nur durch seine Größe, sondern auch durch seine Gestaltung: Über einem kreuzförmigen Grundriss erhebt sich ein Zentralbau in frühklassizistischer Formensprache. Die quadratische Vierung überwölbt eine Hängekuppel. Die Weihe fand 1780 im Beisein Maria Theresias statt. Die alte Kirche erhielt die Gemeinde zur Einrichtung einer neuen Schule geschenkt. Im Zuge der unter Joseph II. erfolgten Neuordnung des Pfarrwesens wurde 1783 Neudorf eine eigenständige Pfarre. 1784 wurde durch eine Verfügung der k.k. Hofkammer die Poststation von Traiskirchen nach Neudorf verlegt (Laxenburger Straße Nr. 2).

Während der Napoleonischen Kriege hatte Neudorf durch Einquartierungen, Ablieferungen und Plünderungen zu leiden. Verursacher waren mal die eigenen Truppen und ihre Verbündeten, mal der Feind. Schweickhardt verzeichnete in seiner Darstellung des Erzherzogthums Österreich unter der Ens 1831 ein Pfarrdorf mit 109 Häusern, 472 männlichen, 497 weiblichen Personen und 141 schulfähigen Kindern. Der Viehstand belief sich auf 125 Pferde, 12 Ochsen, 126 Kühen und 600 Schafen. Im Dorf befanden sich das Posthaus, ein Kaffehhaus im großen Brauhausgebäude, und das herrschaftliche Schloß, in welchem sich die Amtskanzleien befinden. Weiters erwähnenswert erschienen ihm die beiden Mühlen am Medlingerbach sowie die beiden Brauhäuser, von denen das größere nach Schweickhardts Meinung eines der größten in Niederösterreich war. Der erste Neudorfer Müller scheint 1547 als Pächter am Wildwasser auf. Seit der Gründung der Müllerzunft 1668, gab es wohl zwei Mühlen im Ort, die laufend ausgebaut und modernisiert wurden. Mitte des 17. Jahrhunderts hatte Heinrich Kielmann von Kielmansegg bereits mit dem Bierbrauen auf seiner Besitzung begonnen. 1769 erwarb Braumeister Johann Conrad von der Herrschaft die Braugerechtigkeit und ein Grundstück an der Italienischen Straße (=Triester Straße) zur Errichtung einer Brauerei.   

Mit der Aufhebung der Grundherrschaft 1848 wurde Neudorf eine eigenständige Gemeinde. 1853 verkaufte die Erzdiözese Wien ihren Sommersitz an den Staat. Hier wurde in der Folge unter der Leitung der Kongregation der Schwestern vom Guten Hirten eine Frauenstrafanstalt eingerichtet, in der man versuchte durch Milde, Geduld und Anhaltung zur Arbeit die Straffälligen zu bessern. Ab 1856 wurden neue Strafanstaltsgebäude errichtet. Nach dem Zweiten Weltkrieg dienten die Gebäude zunächst als Resozialisierungs- und Erziehungsanstalt, dann als Höhere Lehranstalt.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts setzte der Wandel von der Agrar- zur Industriegemeinde ein: 1871 nahmen die Neudorfer Ziegelwerke ihren Betrieb auf. Zwei Jahre später erwarb sie Robert Herzfelder, der 1869 schon die Brauerei in Neudorf gekauft hatte, und ließ die Fertigungsanlagen laufend erweitern. In der Blütezeit fanden hier bis zu 1000 Arbeiter*innen Beschäftigung. Die meisten von ihnen kamen aus Böhmen. Um die drückenden Wohnungsverhältnisse zu verbessern errichtete das Ziegelwerk in unmittelbarer Nähe zu den Ringöfen Wohnhäuser. Der Zuzug an Arbeiterfamilien wirkte sich auch auf das Schulwesen aus: Die 1875 eröffnete Schule musste 1896 ausgebaut werden. Zu dieser Zeit besuchten 228 deutschsprachige und 163 tschechischsprachige Kinder die Schule. Die Brauerei Neudorf – die Austria-Brauerei – wurde zur größten des Landes. 1895 wurden mehr als 100.000 Hektoliter produziert. Das Austria-Doppelmalz wurde bis Ägypten exportiert. Am 28. September 1886 traf der erste Zug der von der Neuen Wiener Tramway-Gesellschaft errichteten Dampfstraßenbahnstrecke von Wien nach Wiener Neudorf ein. Dieser erste Abschnitt der „Badner Bahn" diente zunächst hauptsächlich zum Gütertransport zur Versorgung der Ziegelfabriken. 1901 zerstörte eine Brandkatastrophe mehrere Häuser und das Rathaus. Ein Jahr später wurde das neue Rathaus mit seinem markanten Turm seiner Bestimmung übergeben.

Die Zwischenkriegszeit war wie überall von hoher Arbeitslosigkeit geprägt. 1938 stellte die Brauerei, die in den Besitz der Liesinger Brauerei übergegangen war, ihren Betrieb ein. Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten wurde Wiener Neudorf ein Teil von Groß-Wien und gehörte zum 24. Gemeindebezirk Mödling. 1940 begannen die Vorbereitungsarbeiten für die Errichtung der Flugmotorenwerke Ostmark GesmbH. Baracken, Werkshallen und Verwaltungsgebäude wurden auf dem Griesfeld und der Neudorfer Heide zwischen Wiener Neudorf und Guntramsdorf aus dem Boden gestampft. Geplant war eine monatliche Produktion von 1800 Flugmotoren. Für Bau und Betrieb der Fabrik wurden Zwangsarbeiter*innen und KZ-Häftlinge eingesetzt. In Wiener Neudorf entstand ein Außenlager von Mauthausen. Aufgrund der Zunahme der alliierten Bombenangriffe auf Ziele in Niederösterreich ab Sommer 1943 wurde das Werk schließlich nach Dubnica (Slowakei) verlegt. Ab Juli 1944 rollten immer wieder schwere Bombenangriffe über Wiener Neudorf. Ziel waren die Flugmotorenwerke. Der schwerste Angriff erfolgte am 15. Februar 1945. Ein Serienabwurf zerstörte zahlreiche Häuser und richtete an fast allen Gebäuden schwere Schäden an.

Erst 1954 erfolgte die Rückgliederung der Randgemeinden in den Verband des Landes Niederösterreich. Am 1. September 1954 nahm ein provisorischer Gemeinderat in Wiener Neudorf wieder seine Tätigkeit auf. Die Wunden des Krieges waren noch lange nicht geschlossen. Es galt Wohnraum zu schaffen und Industriebetriebe anzusiedeln. 1957 errichteten die Eumig-Werke eine Zweigniederlassung in Wiener Neudorf; 1974 verlagerten sie ihren Firmensitz in das neu errichtete Eumig-Haus. Nach der Schließung der Eumig-Werke 1981 zog ein Jahr später die Palmers Textil AG in  das Hochhaus ein und errichtete dort ihre Firmenzentrale (bis 2015). 1958 erfolgte der Spatenstich für die Brown-Boveri-Werke, die bereits 1938 einen entsprechenden Grund in Wiener Neudorf erworben hatten. Es folgten weitere Industriegründungen. Auf dem Areal der Flugmotorenwerke Ostmark GesmbH, das sich im Besitz des Landes Niederösterreich befand, erfolgte 1962 die Gründung des Industriezentrums NÖ-Süd, auf dem derzeit mehr als 380 Unternehmen mit rund 11.190 Arbeitsplätzen angesiedelt sind.

Mit Bescheid vom 17. Mai 1994 verlieh die NÖ Landesregierung der Marktgemeinde Wiener Neudorf ein Gemeindewappen: In einem von Blau und Silber gespaltenen Schild ein schrägrechts gestelltes Beil in verwechselten Farben. Die vom Gemeinderat festgesetzten Gemeindefarben Blau-Weiß wurden genehmigt. Das Beil findet sich auf dem ältesten erhaltenen Abdruck des Gemeindesiegels  auf einer Urkunde aus dem Jahr 1682.