Ortsgeschichte
In Eisgarn im oberen Waldviertel nördlich von Heidenreichstein befindet sich Österreichs kleinstes Kollegiatstift. Das in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts gegründete Stift, die so genannte „Propstei" Eisgarn, wurde für die Geschichte des 1930 zum Markt erhobenen Ortes bestimmend.
1294 wird das zur Herrschaft Litschau gehörende kleine Dorf Eisgarn erstmals urkundlich erwähnt, wenige Jahrzehnte später wählte es Johann von Klingenberg, damals Herr auf Litschau, zum Gründungsort einer geistlichen Kommunität. Um 1330 stiftete er an der Eisgarner Marienkirche ein kleines Kollegiatstift für sechs Chorherren mit einem Propst als Vorsteher, 1338 erfolgte die Erhebung zur Pfarrkirche.
Die einschiffige, ursprünglich vermutlich romanische Stiftskirche wurde zwischen 1330 und 1340 frühgotisch umgebaut und durch Kapellen erweitert. Kurz darauf wurde die Kolomanikapelle errrichtet und zeugt ebenso wie der im freien Feld liegende Kolomanistein - mit einem Bildstock aus dem Jahr 1713 - von der jahrhundertelang lebendigen Verehrung des Heiligen. Das Stift war nach dem Willen des Gründers verpflichtet, einen Schulmeister einzustellen. Die seit dem Ende des 14. Jahrhunderts urkundlich nachweisbare Schule besteht heute noch als Volksschule und ist eine der ältesten Schulen Niederösterreichs.
Seit dem 16. Jahrhundert war die Propstei als Mitglied des Prälatenstandes im Landtag vertreten. Die letzte freie Propstwahl hielt das Kapitel 1550 ab, den folgenden Propst präsentierte der päpstliche Nuntius in Wien, ab 1560 wurde das Besetzungsrecht von den Habsburgern ausgeübt. Seit dem 17. Jahrhundert wurden die Chorherrenstellen nicht mehr besetzt, sodass das Kollegium nur aus dem Propst bestand, dem allein die Stiftseinkünfte zuflossen. Durch die Nähe zum Kaiserhaus gelangten bedeutende Persönlichkeiten zur einträglichen Eisgarner Propstwürde, darunter Heinrich Fastroyer (1624-1665), zugleich Generalvikar des Heeres, und dessen Koadjutor Laurenz Rudawsky, Domherr von Olmütz und Verfasser einer umfassenden Geschichte Polens. Im 17. Jahrhundert war Propst Franz Rodt (1750-1768) zugleich Bischof von Konstanz, sein Propst-Koadjutor Graf Johann von Herberstein wurde 1760 Bischof von Triest.
Im 17. und 18. Jahrhundert wurde die Stiftskirche barock erweitert (1668) und erhielt einen quadratischen Westturm mit Zwiebelhelm (1765-1782). Zur gleichen Zeit wurde auch der im Kern gotische Propsteihof östlich der Kirche umgebaut und erweitert (1665-1680, 1763). In jüngerer Zeit wurden die Innenräume mit Fresken des Malers Arnulf Neuwirth gestaltet. Im 20. Jahrhundert wurde die Stiftskirche unter Propst Ignaz Stidl (1907-1937) renoviert und gehört nach der 1999 vollendeten Generalsanierung zu den schönsten frühgotischen Kirchen des Waldviertels. Zwei Jahre zuvor wurde auch das Chorherrenkollegium wieder ins Leben gerufen. Seit 1997 sind die seit fast 400 Jahren vakanten Chorherrenstellen mit drei Priestern besetzt.
Das Stift wurde zu einer Pflegestätte zeitgenössischer Kunst und Musik und bietet jährlich ein umfangreiches Veranstaltungsprogramm. Die Konzertreihe „Waldviertler Stiftskonzerte" ist seit mehr als 20 Jahren fixer Bestandteil der Waldviertler Kulturszene. Die seit 1998 bestehende "Stiftscantorei" mit zwölf Mitgliedern widmet sich besonders der Pflege zeitgenössischer Kirchenmusik.