Das Flüchtlingslager in Gmünd
Als im Herbst 1914 die russischen Truppen in Galizien eindrangen, wurde für die nach Westen flüchtenden Bewohner bei Gmünd ein Lager geschaffen. Anfang Dezember 1914 begann der Bau großer Wohnbaracken; bis zur Fertigstellung wurden die Flüchtlinge, vor allem Ruthenen, in Gasthäusern der Umgebung untergebracht. Im September 1915 war die Flüchtlingsstadt auf 144 Wohnbaracken angewachsen, das Lager war in 15 Sektionen mit je acht Wohnbaracken und einer Küchenbaracke gegliedert.
Die Wohnbaracken waren für 200 bis 250 Personen geplant, das Lager konnte daher 30.000 Menschen aufnehmen. Der höchste Stand wurde am 24. Mai 1915 mit 28.700 Flüchtlingen erreicht, mehrheitlich Ukrainer, auch einige hundert Slowenen. Für die Ukrainer wurde eine von mehreren Priestern betreute Holzkirche errichtet. In der Schule konnten 1623 Kinder unterrichtet werden, für Erwachsene gab es Fortbildungskurse in Deutsch, gewerblichen Fertigkeiten und Nähen. Etwa 22.000 Personen wurden im Laufe des Krieges zu Arbeiten außerhalb des Lagers vermittelt, meist in der Landwirtschaft.
Das Lager verfügte über ein großes Spital mit 1500 Betten, darüber hinaus Desinfektionsbaracken, Wasserleitung, Kanal, Wäscherei, elektrische Anlagen, eine Feuerwehr und einen Friedhof. Als im Jahre 1916 die russische Offensive einen neuen Flüchtlingsstrom brachte, wurde das Lager für 50.000 Personen vergrößert. Nun wurde auch für die Katholiken eine Kirche errichtet, die später von der Pfarre Gmünd-Neustadt übernommen wurde.
Durch die schlechte Verpflegung der Flüchtlinge war die Sterblichkeitsrate hoch. Die mit der Flucht und dem Lagerleben verbundenen sozialen Probleme - Unterernährung, Kriminalität, Verzweiflung, Desintegration - konnten nicht gelöst werden. Von der Bevölkerung der Umgebung wurden die Flüchtlinge vor allem als Belastung erlebt. Nach Kriegsende kehrten die meisten von ihnen in ihre Heimat zurück. Aus dem Lagergebiet wurde die Neustadt von Gmünd, die man noch heute durch das Haupttor des ehemaligen Lagers betritt.
(Quelle: Landeschronik Niederösterreich, 2. Aufl. 1994, S. 343)