Ortsgeschichte
Die Marktgemeinde Hirtenberg liegt südlich von Baden am Ausgang des Triestingtales.
Spuren einer ersten Besiedelung in der Jungsteinzeit (Lengyel-Kultur) wurden 1904 gefunden. Auch Gegenstände der Bronze- und Hallstattzeit konnten sichergestellt werden. In der Keltenzeit (La-Tène-Zeit) besaß Hirtenberg zwei Wohnplätze und einen Friedhof. Aus der Römerzeit fand man Münzen, Fibeln, Schlüssel, Ziegel, Gefäße sowie neun Römergräber am Gelände der Patronenfabrik (heute Hirtenberger AG).
Der Ortsname leitet sich von einem Berg ab, der nach einem Mann mit Namen Huot(t)o benannt wurde. Die erste erhaltene Ortsnennung erfolgte in einer Heiligenkreuzer Urkunde aus dem Jahr 1271, in der ein Chunradis dictus de Huetenberch erwähnt wird. Um den Zugang in das Triestingtal besser kontrollieren zu können, ließ die Herrschaft Pottenstein die einfache Hausberganlage zu einer festen Steinburg als Sperrwerk des Triestingtales ausbauen, von der allerdings heute nur mehr spärliche Mauerreste erhalten ist. Auch über die Geschichte des lokalen Geschlechtes ist wenig bekannt. Ulrich IV. von Walsee-Enzesfeld (gest. 1400) war der letzte Besitzer von Huettenberch. Um 1477 zerstörte der Ungarnkönig Matthias Corvinus unzählige Burgen der Umgebung und Hirtenberg verödete. Am 19. September 1532 wurde die verödete Gegend von Hirtenberg zum Schauplatz für die Niederlage des 8.000 Mann starken osmanischen Heeres unter der Führung des Kasim Bey. Michael Ostendorfer fertigte eine Holzschnittfolge – „Der Heereszug Karls V. im Jahr 1532“ – an, auf der auch das öde Schloss Hirtenberg zu erkennen ist.
Die Grundherrin von Schloss Enzesfeld, Susanne Tobar, bestiftete um 1580 den Ort neu. Sie teilte die fünf vorhandenen Güter in zwei auf und vergab sie zum einen an den Hammerschmied Cristoff Grätzer, zum anderen an den Bauern Hans Sibmbürg, dessen Teil von der Gemain zu Leobersdorf (Gemeinde Leobersdorf) angekauft, also eingemeindet, wurde. Erst 1870 wurde Hirtenberg auf kaiserlichen Beschluss hin wieder selbständige Gemeinde.
Bereits 1694 wurde in Hirtenberg der erste Hauptrechen der Holzschwemme entlang der Triesting errichtet. Bis zur Neugründung des Ortes 1772 bestand Hirtenberg nur aus drei Urhäusern: einem der Grundherrschaft Enzesfeld gehörigen Eisenhammer, einem herrschaftlichen Wirtshaus und einem von Johann Friedrich Schmid gegründeten Kupferhammer. Die planmäßige Neuanlage bestand aus elf gleichartigen kleinen Streckhöfen, die ein Zeilendorf bildeten. Heute noch an der westlichen Bebauung der Altegasse erkennbar. Allerdings wurden die Fassaden um 1900 großteils neu gestaltet. Der Aufschwung begann mit der Industrialisierung ab der Mitte des 19. Jahrhunderts. Drei wichtige Industriebetriebe entstanden: 1846 errichtete Josef Perger eine Baumwollspinnerei, die 1880 der Elsässer Josef Keim in eine Bleicherei, Appretur und Färberei umwandelte. Der aus Schwaben gebürtige Drechsler und Maschinenschlosser Seraphin Keller errichtete 1859 eine Metallwarenfabrik, in der zunächst Geschosszünder und Zünderteile hergestellt wurden. Seine Söhne begannen 1872 mit der Produktion von Gewehrpatronen und begründeten damit die Hirtenberger Patronenfabrik, die unter wechselnden Besitzern bis heute in Betrieb ist. In den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts waren 300 bis 400 Personen hier tätig. Fridolin Keller gründete 1890 eine Metallwarenfabrik, die einen Exklusivvertrag mit der k. u. k. Artillerie-Arsenaldirektion zur Lieferung von Satzscheiben (Zeitzünder) abschloss. Wohnraum für die Arbeiter und Beamten wurde geschaffen. Aufgrund der positiven wirtschaftlichen Entwicklung wurde Hirtenberg 1870 eine eigenständige Gemeinde.
Als Stiftung der Hirtenberger Patronenfabrik wurde 1898 die neugotische Kaiser-Jubiläums-Kirche erbaut und der hl. Elisabeth geweiht. Die Pläne entwarf Oscar Fraunlob. Der Hochaltar und die Heiligenfigur stammen aus der Grödner Schnitzwerkstatt. Die figuralen Glasfenster fertigte die Tiroler Glasmalerei und Mosaik Anstalt in Innsbruck. Die im Ort ansässigen Fabriken sorgten auch für die Infrastruktur: 1905 entstand der erste Kindergarten; 1910 wurde die Volksschule eröffnet. Der Erste Weltkrieg führte zu einem Boom der beiden Rüstungsbetriebe: 1916 boten sie 6.000 ArbeiterInnen Beschäftigung. Baracken wurden für deren Unterbringung errichtet. Am „Jännerstreik“ 1918 nahmen auch die Hirtenberger Beschäftigen unter der Führung von Felix Stika, dem späteren Bürgermeister und Nationalratsabgeordneten teil.
Der Zusammenbruch 1918 führte zu einem Niedergang der beiden Munitionsfabriken. ArbeiterInnen mussten entlassen werden. Trotzdem gelang es Felix Stika die Markterhebung Hirtenbergs 1929 durchzusetzen. Eine wichtige Voraussetzung dafür war der Bau einer Hauptschule, die für SchülerInnen aus Hirtenberg, Enzesfeld und Lindabrunn diente. Das Marktwappen zeigt auf blauem Schild ein silberfarbiges, vierschiffiges Fabriksgebäude, das von einem Wasserturm und drei rauchenden Schloten überragt wird. Die Hirtenberger Patronenfabrik verfügte in den 30er Jahren wieder über ein gutes Auftragsvolumen: Im Schichtbetrieb wurden täglich eine Million Patronen erzeugt. Die Beschäftigtenzahl belief sich auf 3.800. Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten wurde die Patronenfabrik einem deutschen Industriekonzern, der „Wilhelm-Gustloff-Stiftung“ angegliedert. Zwischen 1940 und 1942 entstanden für die Belegschaft Einfamilienhäuser in der Feldgasse und die „Gustloff-Wohnblöcke“ in der Enzesfelder Straße. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde das Triestingtal zum Notstandsgebiet. Die als deutsches Eigentum geltenden Fabriken wurden von den sowjetischen Besatzern übernommen und unter die Verwaltung der USIA gestellt Nach Abzug der Besatzungstruppen wurde das Unternehmen 1957 als Hirtenberger Patronen- und Rohrwerke Aktiengesellschaft neu konstituiert. 1950 konnte das 1945 abgebrannte Rathaus wieder eröffnet werden.