Sage vom Korneuburger Rattenfänger
Einst wurde die Stadt Korneuburg von einer schrecklichen Rattenplage befallen. Die Zahl der Ratten nahm ungeheuer zu, dass sie bis zur Höhe eines bestimmten, heute am Pfarrhofeingang angebrachten Steines, der einst in der Kirchengasse eingemauert war, übereinander laufen mussten. Da die Tiere die Nahrungsvorräte fraßen, beschloss der Stadtrat, dem eine hohe Summe zu zahlen, der die Stadt von dieser Plage befreite.
So erschien eines Tages ein grau gekleideter Fremder und bot seine Hilfe an. Er nahm seine Flöte und schritt, auf ihr spielend, die Donaustraße hinunter, durch das Schiffertor hinaus und ging in das Wasser der Donau hinein. Die Ratten liefen hinter ihm her und ertranken kläglich. Als er aber seinen versprochenen Lohn einforderte, war der Stadtrat der Auffassung, dass für eine so geringe Leistung wie das Flötenspiel die Höhe der vereinbarten Summe nicht gerechtfertigt sei und gab ihm einen geringeren Lohn. Der Rattenfänger, der auf die vereinbarte Summe bestand, drohte, zurückzukommen, was die Stadtväter aber nur wenig beeindruckte.
Eines Tages aber kam er tatsächlich zurück. In prächtiger Kleidung und mit einer goldenen Flöte betrat er die Stadt und spielte eine Melodie, die so schön war, dass ihm alle Kinder der Stadt durch die Donaustraße folgten und mit ihm die Stadt durch das Schiffertor verließen. Nur Kinder, die schwerhörig waren oder nicht richtig laufen konnten, sowie ein Kind, das seinen Mantel vergessen hatte, blieben zurück. Alle anderen Kinder folgten ihm auf ein Schiff, das die Donau hinunterfuhr. Keiner hat jemals wieder von den Kindern gehört.
(Quelle: Hans Huber, Josef Zaural u. Josef Mayer, Volkssagen aus dem Bezirk Korneuburg, 1971)
Die in verschiedenen Fassungen überlieferte Lokalsage (mit/ohne Kinderentführung) weist große Parallelen zur Sage vom "Rattenfänger von Hameln" auf. Ihr Ursprung ist nicht bekannt. Eine Besonderheit der Korneuburger Tradition ist ein heute über dem Pfarrhofeingang eingemauerter Stein, der angeblich die Höhe markierte, bis zu der die Masse der Ratten gereicht haben soll. Der Stein zeigt ein rattenähnliches Tier und die Jahreszahl "1490", weshalb er mit einer Rattenplage in Verbindung gebracht wurde. Vermutlich handelt es sich aber um den Wappenstein der in dieser Zeit nachweisbaren Korneuburger Ratsfamilie Otterer (Otter?), der vielleicht zum Anknüpfungspunkt der Sagentradition wurde.