Ostarrîchi-Urkunde, 1. November 996 (mit Übersetzung und Kommentar)
"Im Namen der heiligen und unteilbaren Dreifaltigkeit. Otto, durch Gottes vorherbestimmende Gnade Kaiser (und) Augustus. Die wohlgesonnenen Herzen aller unserer Getreuen, der gegenwärtigen und auch der künftigen, mögen wissen, dass wir, den würdigen Bitten unseres überaus geliebten Vetters Heinrich, des Herzogs der Baiern, nachkommend, gewisse Besitzungen unseres Rechts in der Gegend, die in der Volkssprache Ostarrîchi heißt, in der Mark und Grafschaft des Grafen Heinrich, des Sohnes des Markgrafen Liutpald, in dem Ort, der Neuhofen genannt wird, das heißt mit eben diesem Hof und dreißig in seiner unmittelbaren Umgebung liegende Königshufen mit bebauten und unbebauten Ländereien, mit Wiesen, Weiden, Wäldern, Gebäuden, mit Quellen und Wasserläufen, mit Jagden, Bienenweiden, Fischwässern, Mühlen, mit beweglichem und unbeweglichem Gut, mit Wegen und unwegsamen Gebiet, Ausgängen und Eingängen, erzielten und noch zu erzielenden Erträgen und mit allem, was nach Recht und Gesetz zu diesen Hufen gehört, dem Schoß der Freisinger Kirche, zum Dienste der heiligen Maria und des heiligen Bekenners Christi und Bischofs Corbinian, der jetzt unser getreuer Gottschalk, der ehrwürdige Bischof, vorsteht, zu eigenem und ewigen Gebrauch überlassen und durch unsere kaiserliche Macht fest übergeben haben, und zwar so, dass die genannte Freisinger Kirche, ihr genannter Vorsteher Gottschalk und alle seine Nachfolger alles dieses in Hinkunft genießen, indem sie es nach freiem Ermessen besitzen, eintauschen oder was immer sie wollen damit tun können.
Und damit der Kraft unserer Schenkung von allen Söhnen der heiligen Kirche Gottes stets fester und unerschütterlicher Glaube geschenkt werde, haben wir diese Urkunde zu schreiben befohlen und ihr nach Besiegelung mit unserem Siegel unten mit eigener Hand Rechtskraft verliehen.
Handmal des Herrn Otto (MONOGRAMM), des (absolut) unbesiegbaren Kaisers und Augustus.
(Ich), Hildibald, Bischof und Kanzler, habe anstelle des Erzbischofs Willigis rekognisziert.
Gegeben am 1. November (Kalenden des Novembers) im Jahre der Fleischwerdung des Herrn 996, in der 10. Indiktion, im dreizehnten Regierungsjahr des Königs Otto III. und im ersten seines Kaisertums. Geschehen zu Bruchsal. Mit Glück."
Kanzlei- und Archivvermerke auf der Rückseite (Dorsualvermerke):
Über Neuhofen, das in der in der Volkssprache Ostarrîchi genannten Gegend liegt (zeitgleich). - Schenkung des Kaisers Otto III. über Neuhofen 996. No. 3 zu den Schenkungen (aus späterer Zeit). - Hochstift Freising (um 1803).
Lateinischer Text (Transkription nach Zeilen):
1. (C.) In nomine sanctae et individuae trinitatis. Otto divinae preordinante clementia imperator augustus. Noverint omnium industriae fidelium
2. nostrorum tam praesentium quam et futurorum, qualiter nos dignis petitionibus dilectissimi nepotis nostri Baioariorum ducis Heinrici annuentes quasdam nostri iuris res in regione vocabulo Ostarrichi in marcha et in
3. comitatu Heinrici comitis, filii Liutpaldi marchionis, in loco Niuuanhova dicto, id est cum eadem curte et in proximo confinio adiacentes triginta regales hobas cum terris cultis et incultis, pratis, pascuis, silvis, aedificiis,
4. aquis aquarumve decursibs, venationibus, zidalweidun, piscationibus, molendinis, mobilibus et inmobilibus, viis et inviis, exitibus et reditibus, quaesitis et inquirendis omnibusque iure legaliterque ad easdem hobas pertinentibus
5. super gremium Frigisingensis aecclesiae ad servicium sanctae Mariae sanctique Christi confessoris atque pontificis Corbiniani, cui nunc fidelis noster Kotascalhus venerabilis praesidet episcopus, in proprium atque per-
6. petuum usum concessimus firmiterque tradidimus nostra imperiali potentia, eo modo eoque tenore, ut eadem praefata Frigisingensis aecclesia idemque praelibatus antistes Kotascalhus atque omnes
7. sui successores libero deinceps perfruantur arbitrio haec omnia tenendi, commutandi et quidquid voluerint inde faciendi. Et ut nostrae largitionis auctoritas
8. firmior stabiliorque cunctis sanctae Dei aecclesiae filiis perpetim credatur, hanc cartam inscribi iussimus anuloque nostro signatam manu propria subtus eam
9. firmavimus.
10. Signum domni Ottonis (MONOGRAMM) invictissimi imperatoris augusti.
11. Hildibaldus episcopus et cancellarius vice Uuilligisi archiepiscopi recognovi.
12. Data kalendis novembris anno dominicae incarnationis DCCCCXCVI, indictione X, anno autem tertii Ottonis regnantis XIII, imperii vero I. Actum (Bruochs)elle. Feliciter.
Kanzlei- und Archivvermerke auf der Rückseite (Dorsualvermerke):
De Niuanhova que in regione vulgari vocabulo Ostarrichi dicta sita est
Traditio Ottonis Imperatoris tertii de Neuenhoven
996. No. 3 ad donationes
Hochstift Freising
Original in München, Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Hochstift Freising Urkunde 14 = Kaiserselekt 859; Druck: MGH Diplomata Otto III. n. 232.
Kommentar:
Der größte Teil dieser in Bruchsal ausgestellten Urkunde wurde von einem Freisinger Notar geschrieben, der dafür als Vorlage ein über 20 Jahre älteres Diplom Kaiser Ottos II. (November 973) verwendete, mit dem der Freisinger Bischof Besitzungen in "Krain" bzw. - wortwörtlich wie in der Ostarrichi-Urkunde - "in der Gegend , die in der Volkssprache Chreine heißt", erhielt. Er fertigte die Zeilen 1 bis 9 aus und legte die Urkunde dem Kaiser vor, worauf ein Notar der kaiserlichen Kanzlei die Zeilen 10 bis 12 (Signum- und Rekognitionszeile, Datierung) hinzufügte und der Kaiser das Dokument unterfertigte, allerdings nicht mit einem Namenszug, sondern mit dem so genannten Vollziehungsstrich: Er trug eigenhändig in das aus den Großbuchstaben des Namens und Titels OTTO IMPERATOR AUGUSTUS gebildeten Monogramm einen Strich ein und verlieh auf diese Weise der Urkunde Rechtskraft. Die Eigenhändigkeit Ottos III. ist am geteilten Vollziehungsstrich (Querstrich in der Mitte) erkennbar: Es ist der linke Teil des Querstrichs und, was besonders außergewöhnlich ist, das ganze A in der unteren Mitte (eingehängt im V). Otto III. war in dieser Hinsicht sehr experimentierfreudig.
Die erste Zeile wurde in verlängerter Schrift mit übergroßen Ober- und Unterlängen - "Elongata" - ausgeführt, die den Königsurkunden ein besonders feierliches Aussehen verleiht. Am Beginn der Urkunde steht das Chrismon, der geschmückte Buchstabe C als Monogramm des Namens Christi. Die Urkunde ist auf "nordischem", das heißt auf beidseitig (Fleisch- und Haarseite) bearbeitetem und daher beidseitig verwendbarem Pergament geschrieben (75 x 47 cm). Sie hat zahlreiche Löcher und Risse, das aufgedrückte Siegel ist verloren.