Pitten


Gemeinde Pitten

Ortsgeschichte

Der Markt Pitten liegt an der Grenze zwischen Buckliger Welt und Steinfeld und nimmt als früher Zentralort historisch einen besonderen Platz im Südosten Niederösterreichs ein. Der Pittener „Schlossberg" hat eine bis in das Neolithikum zurückgehende Siedlungstradition und war vermutlich ab der späten Bronzezeit befestigt. Im Frühmittelalter (8./9. Jh.) dürfte sich hier ein regionales slawisches Herrschaftszentrum befunden haben, wie aus dem Ausbau der Wallanlage und den Gräbern geschlossen wird.

Aus dem 9. Jahrhundert sind auch die ersten urkundlichen Nachrichten über das Pittener Gebiet überliefert. Bekannt ist, dass die Gegend bis zum Zöbernbach dem karolingischen Grenzgrafen Radpot unterstand, zu dessen Machtbereich Pitten gehört haben dürfte. Mit ihm in Verbindung steht die spätere Nonne Peretkund, mit deren Name die erste Nennung von Pitten im Jahr 869 verknüpft ist. Im Herbst dieses Jahres wurde der in Baden weilende König Karlmann mit einem Erbschaftsstreit zwischen ihr und Graf Kundahari wegen einer früheren Besitzschenkung Peretkunds an das Bistum Freising befasst. Sie erhielt Recht und wiederholte die umfangreiche Schenkung von Besitz ad Putinnu, bei Pitten.

Danach schweigen die Quellen mehr als 200 Jahre, erst wieder für das Jahr 1094 gibt es einen zweifelsfreien Beleg für das Bestehen der Burg Pitten und einer darunter liegenden Kirche. Damals schenkte Graf Ekbert I. von Formbach die Kirche unter der Burg, sub castello Butino, neben anderen Gütern seinem Hauskloster Vornbach am Inn. Ekbert I. hatte als Schwiegersohn und Nachfolger des 1050 verstorbenen karantanischen Markgrafen Gottfried von Wels-Lambach auch dessen Besitzungen zwischen Semmering und Piesting geerbt. Über ihre ritterlichen Gefolgsleute gelang den Formbacher der Aufbau eines Herrschaftsbereichs mit dem Hauptort Pitten, nach dem sie sich - nachweisbar seit 1108  - auch nannten. Aus der Bezeichnung „Grafen von Pitten" wurde von der älteren Forschung auf eine „Grafschaft Pitten" geschlossen, die aber in den Quellen nicht belegt ist. Auch wenn eine Grafschaft im rechtlichen Sinn nicht existierte, war Pitten ein sehr bedeutendes Herrschaftszentrum, nach dem sich seit dem 12. Jahrhundert auch die formbachischen Ministerialen (Gefolgsleute) nannten. Nach dem Tod des letzten Formbachers im Jahre 1158 traten sie in den Gefolgschaftsverband der steirischen Markgrafen ein, wodurch das Pittener Gebiet Teil der Steiermark wurde. Bis in das 15. Jahrhundert hatte der Pittener Raum eine gewisse Sonderstellung zwischen den Herzogtümern Österreich und Steiermark, dessen Zugehörigkeit sich nach mehrmaligem Wechsel – 1254 österreichisch (Frieden von Ofen), 1379 wieder steirisch bei der Neuberger Teilung der habsburgischen Länder – erst in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts zugunsten Österreichs unter der Enns entschied.

Die Pittener, seit dem 13. Jahrhundert auch Herren von Klamm bei Schottwien, gehörten zu den mächtigsten Adeligen zwischen Piesting, Semmering und Wechsel. Offo von Pitten hatte 1253/54 wesentlichen Anteil an der Parteinahme Wiener Neustadts für König Ottokar II. von Böhmen gegen Bela IV. von Ungarn und damit an der Verselbstständigung des Pittener Gebiets gegenüber der Steiermark, das im Frieden von Ofen (1254) als Machtbereich Ottokars nun österreichisch wurde.

Zwei Jahre später erfolgte eine Teilung der Burg zwischen Offo und seinem Neffen Hermann von Klamm. Die darüber ausgestellte Urkunde gibt erstmals eine Vorstellung vom Aussehen der bedeutenden, in ihrem hochmittelalterlichen Bestand aber kaum erhaltenen Burg. Erwähnt werden ein großer und kleiner Turm, ein Palas und Nebengebäude.

Die mittelalterliche Pfarrkirche befand sich – wie die heutige barocke St. Georgskirche – oberhalb des Ortes auf halber Höhe des Burgberges, allerdings lag sie nördlich des 1732 errichteten Nachfolgebaus. Sie war den Heiligen Peter und Paul geweiht und Ost-West orientiert. Eine Besonderheit dieser Kirche war ihr Chor, der aus einer apsisartigen Höhle des Burgfelsens bestand (Felsenkapelle) und nach Auflassung der Kirche als Karner genutzt wurde. Von der älteren Pfarrkirche hat sich nur der spätgotische Turm erhalten. Sie war, wie aus dem Vischer-Stich von 1682 ersichtlich ist, mit Mauern und Türmen befestigt. Seit 1456 war die Pfarre dem Chorherrenstift Reichersberg inkorporiert.

Nach dem Tod Offos von Pitten 1265 kamen Burg und Herrschaft über dessen Witwe Adelheid, die Heinrich von Stubenberg heiratete, zunächst für 50 Jahre an die Stubenberger (bis 1315), danach wechselten die Besitzer häufig. Pitten wurde von den Landesfürsten verpfändet oder zu Lehen ausgegeben und ab dem frühen 15. Jahrhundert von landesfürstlichen Burggrafen verwaltet, unter ihnen in den 1480er Jahren Wolfgang Teufel. Mit seiner Person ist der so genannte „Pittener Corvinusbecher“ - ein Prunkpokal in Eichelform – verbunden, den ihm der ungarische König Matthias Corvinus im Jahr 1485 als ritterliche Anerkennung für die angeblich mehrjährige Verteidigung Pittens gegen die Ungarn persönlich geschenkt haben soll. Allerdings beruht diese quellenmäßig sonst nirgends belegte Überlieferung von der Belagerung und Eroberung durch die Ungarn nur auf der Haustradition der Familie Teufel, die bis 1662 Inhaber von Burg und Herrschaft waren (ab 1605 als Eigentum). Ebenfalls unbewiesen sind die angeblichen Belagerungen durch die Osmanen 1529 und 1683; gesichert scheint hingegen die erfolglose Belagerung im Jahr 1605 durch die Truppen des Stephan Bocskai zu sein.

Zur Sicherung von Burg und Ort, die durch die exponierte Lage an der Grenze immer wieder von Krieg und Zerstörung betroffen waren, wurde die Burg im 16. und 17. Jahrhundert von den Teufel und ihren Nachfolgern, den Grafen Hoyos (ab 1662), zu einer nahezu uneinnehmbaren Festung ausgebaut. In dieser Zeit erhielt die Burg ihre heutige Gestalt mit dem dreigeschoßigen, im Kern hochmittelalterlichen Turmbau und einem hakenförmigen Wohntrakt. Auch die freistehende mittelalterliche Burgkapelle wurde erneuert (1611). Im Hof ließ Johann Christoph Teufel in den Jahren 1605 bis 1619 einen 73 Klafter (140 m) tiefen Brunnen anlegen, und 1663 wurde die Anlage von einer hohen, zinnenbekrönten Mauer umgeben. 1682 galt Pitten als gut gesichertes "Bergschloss", das ein Jahr später den Markt vor des feindes ruin zu schützen vermochte, wie es in einer Aufstellung über die Schäden durch die Osmanen 1683 heißt. Die Hoyos waren bis 1822 im Besitz der Burg, danach wechselten die Besitzer mehrfach; heute befindet sich das Schloss in Privatbesitz.

Die Ortschaft am Fuß des Burgfelsens entwickelte sich in der frühen Neuzeit zum Markt (erste Nennung 1563). Ein bemerkenswerter Bau ist der stattliche, schlossartige Pfarrhof am Südrand des Ortes (Alleegasse Nr. 57). Er wurde Mitte des 17. Jahrhunderts errichtet (1651–1664) und ist ein Nachfolgebau des für das 12. Jahrhundert belegten Wirtschaftshofs des Stiftes Reichersberg mit der 1149 geweihten St. Martinskapelle. Die barocke Gestaltung der Fassade und der Innenräume stammen aus dem 18. Jahrhundert (1724/28).

Zu den bedeutendsten der im Zuge der Industrialisierung entstandenen Fabriken gehörte das Graf Pergensche Eisenwerk. Die Grafen von Pergen betrieben seit 1807 den schon im frühen 17. Jahrhundert nachgewiesenen Eisenbergbau beim Harrethhof; das Eisenwerk galt 1835 als das bedeutendste Werk in Österreich unter der Enns. 1847 wurde eine Gewehr- sowie eine Maschinenfabrik gegründet, 20 Jahre zuvor die heute noch bestehende Papierfabrik Sterz, heute W. Hamburger. Nach der Eröffnung der Aspangbahn 1881 kam es zwischen Bahnlinie und Burgberg zu einer Ortserweiterung; eine weitere, weitläufige Ausdehnung des Marktes erfolgte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Wegen seiner klimatisch günstigen Lage an der Schnittlinie zwischen Hügelland und Steinfeld wird Pitten gerne als das „Meran von Niederösterreich" bezeichnet.