Reichenau an der Rax


Gemeinde Reichenau an der Rax

Ortsgeschichte

Der Markt Reichenau - „der" Nobelkurort der Monarchie - war bis in das 19. Jahrhundert eine kleine Siedlung, die seit dem Mittelalter Mittelpunkt der Herrschaft Reichenau war, zu der auch der mächtige Kalkgebirgsstock der Rax gehörte. Das im 13. Jahrhundert errichtete Schloss (Festes Haus) wird erstmals 1256 urkundlich genannt. 1333 erwarb Herzog Otto der Fröhliche die Herrschaft und schenkte sie dem von ihm wenige Jahre zuvor gestifteten Zisterzienserkloster Neuberg an der Mürz, das 450 Jahre im Besitz der Herrschaft blieb. Die Feste war Sitz der geistlichen Verwaltung und wurde im 17. Jahrhundert zu einem repräsentativen Wasserschloss ausgebaut. An die Klosterherrschaft erinnert das „Wartholzkreuz", ein gotisches Steinkreuz an der Straße nach Edlach, bei dem der Abt von Neuberg von den Untertanen feierlich empfangen wurde.

Eine bis in die Bronzezeit zurückreichende Tradition hatte in der Reichenauer Gegend der Bergbau, der ab dem 18. Jahrhundert verstärkt betrieben wurde. 1699 erhielt das Stift Neuberg das Privileg für den Eisenerzabbau, ab 1716 begann die Verhüttung. 1780 kaufte die Innerberger Hauptgewerkschaft zu Eisenerz das Bergwerk und die Verhüttungsanlagen. Mit der von den Brüdern Georg und Johann Huebmer entwickelten Holzbringungstechnik gelang auch die Nutzung der Wälder im Raxgebiet zur Holzkohlenerzeugung, denn bis dahin galt das Höllental als unpassierbar. 1783 glückte den Brüdern Huebmer der erste Holztransport auf der Schwarza nach Hirschwang. Ein Jahr später erwarb die Innerberger Hauptgewerkschaft die Herrschaft Reichenau und das Schloss, nun Sitz der Werksverwaltung. 1829/30 wurde das ehemals vierseitige Schloss durch Abtragung von Flügeln und Herabsetzung der Geschoße zur heutigen dreiflügeligen Anlage umgebaut. Auf dem Schlossplatz entstand als Werkskirche für die Bergarbeiter die klassizistische Barbarakirche (1843/46, 1908 Pfarre). Ende des 19. Jahrhunderts wurde der Erzabbau zunehmend unergiebig und unrentabel und der Bergbau schließlich 1902 am Fuß der Rax und 1903 am Grillenberg eingestellt.

In dieser Zeit war aus der kleinen Siedlung längst ein prominenter Kurort geworden. Schon in der Biedermeierzeit war Reichenau ein beliebter Stützpunkt für Wanderer, Bergsteiger und die ersten Wiener Sommerfrischler und verfügte daher schon früh über eine touristische Infrastruktur. Die Gäste aus der Stadt fanden hier eine wild-romantische Natur und einen den städtischen Bedürfnissen angepassten Komfort mit Gasthöfen, gepflegten Wegen und gut beschriebenen Aussichtspunkten. Besonders beliebt war der „Thalhof", in dem u.a. Ferdinand Raimund, Nikolaus Lenau und Erzherzog Karl abstiegen.

Nach der Eröffnung der Südbahn Wien-Gloggnitz 1842 und der Semmeringbahn 1854 setzte ein regelrechter Ausflüglerboom ein. In wenigen Jahrzehnten wurde aus dem unberührten Tal ein Sommer-Refugium der eleganten Wiener Gesellschaft mit Hotels, Gärten und von Wiener Stararchitekten wie Ferstel oder Flattich erbauten Villen. Von großer Bedeutung für die Entwicklung zum Nobelkurort waren die Aufenthalte der kaiserlichen Familie: Kronprinz Rudolf und Erzherzogin Gisela verbrachten ab 1859 die Sommer in der „Rudolfsvilla", Erzherzog Karl Ludwig in der von Heinrich von Ferstel errichteten „Villa Wartholz" (1872), der Kaiser selbst kam zur Jagd in die Reichenau. Neben Kaiserhaus und altem Adel gehörten vor allem prominente Bürgerliche und der Geldadel zu den Reichenauer Bauherren wie Baron Nathaniel Rothschild, der sich ein prunkvolles Schloss im Stil der Loire-Schlösser erbaute (Schloss Hinterleiten, 1884). Ihren Höhepunkt erreichte die Bautätigkeit um die Jahrhundertwende. Reichenau wurde gleichsam die Sommer-Expositur der Wiener Salons, in der sich Künstler, Politiker und Gelehrte trafen, darunter Arthur Schnitzler, Peter Altenberg, Eduard von Bauernfeld und Sigmund Freud. Treffpunkt der eleganten Welt war vor allem das Haus Thalhof der Familie Waissnix, die seit 1870 auch im Besitz des Schlosses war.

Parallel zur Bautätigkeit erfolgte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts der Ausbau zum Kurort und die Erschließung der Landschaft: 1866 Eröffnung der ersten - von der Familie Waissnix errichteten - Kaltwasser-Heilanstalt, Errichtung von Schutzhäusern, Anlage eines Netzes markierter Wege und gesicherter Steige, 1891/92 Anlage eines Kurparks. Ihren Abschluss fand diese Entwicklung im Jahr 1926 mit der Eröffnung der Raxseilbahn, Österreichs ältesten Personen-Seilschwebebahn, des Kurtheaters sowie der Höllentalbahn (Payerbach-Hirschwang). Zwei Jahre später wurde Reichenau mit Edlach und Prein – Payerbach war seit 1908 selbstständig - zum Kurort erhoben. 1958 erfolgte auch die Erhebung zum Markt.

Auch wenn viele Kurhotels in der Zwischenkriegszeit abgerissen wurden, ist die Atmosphäre des Fin de siècle in Reichenau bis heute spürbar. Das Schloss ist seit 1992 durch Stiftung der Familie Waissnix im Besitz der Gemeinde und wird für Ausstellungen genutzt. 2003 wurde in den Räumlichkeiten die Niederösterreichische Landesausstellung präsentiert, seit 2005 ist eine Dauerausstellung zur Vergangenheit Reichenaus zu sehen.

Im Gemeindegebiet von Reichenau - bei Hirschwang - liegt auch Kaiserbrunn bzw. die Kaiserbrunnenquelle, die stärkste Quelle am Ostalpenrand und Ursprungsquelle der 1869 bis 1873 errichteten 1. Wiener Hochquellwasserleitung. Ihren Namen erhielt die Quelle von Kaiser Karl VI., der sie bei der Jagd entdeckte und wöchentlich mehrere Fässer des kostbaren Quellwassers nach Wien transportieren ließ. Schon in der Biedermeierzeit war Kaiserbrunn ein beliebtes Ausflugsziel. Der Bau der Wasserleitung entlang des Alpenostrandes und Wienerwaldes über Ternitz, Wiener Neustadt, Bad Vöslau, Baden, Mödling bis Wien war in ihrer Dimension eine technische Höchstleistung der Zeit und konnte nach vier Jahren Bauzeit 1873 mit der Inbetriebnahme des Hochstrahlbrunnens am heutigen Schwarzenbergplatz in Wien fertig gestellt werden.

Mit Bescheid vom 1. Juli 2003 verlieh die Niederösterreichische Landesregierung der Marktgemeinde ein gebessertes Gemeindewappen: Ein gevierter Schild, 1 in Grün ein wachsender rot bewehrter, flammenspeiender silberner Panther, 2 in Rot ein silberner Balken, 3 in Rot ein silbernes mit einem getatzten Kreuz bestecktes M, 4 in Grün ein silbernes Bergwerkszeichen, Schlägel und Eisen.