Seitenstetten


Gemeinde Seitenstetten

Ortsgeschichte

Die Marktgemeinde Seitenstetten umfasst seit der Zusammenlegung im Jahr 1971 den Hauptort Seitenstetten Markt mit dem Benediktinerstift und das um den Markt liegende Streusiedlungsgebiet Seitenstetten Dorf. Die Geschichte des Marktes ist untrennbar mit dem Stift verbunden, zu dessen Grundherrschaft er bis 1848 gehörte.

Kultureller Mittelpunkt der Region ist seit Jahrhunderten das Anfang des 12. Jahrhunderts gegründete Stift Seitenstetten. Nach einem Passauer Codex stiftete ein Adeliger namens Udalschalk (Udilscalc) 1109 eine Priestergemeinschaft und wandelte sie 1112 in ein Benediktinerkloster mit Mönchen aus Göttweig um. Nach der Urkundenüberlieferung des Stiftes bestätigte Bischof Ulrich von Passau im Jahr 1116 die Stiftung Udalschalks und weihte die Kirche. Die Echtheit der ältesten im Stift erhaltenen Urkunden wird allerdings bezweifelt, vermutlich entstanden sie erst zu einer späteren Zeit, als der lang dauernde Gründungsprozess bereits abgeschlossen war. Sie sind Ausdruck der Identität einer Klostergemeinschaft, die sich urkundlich einen "eindeutigen" Anfang gegeben hat und ihre Rechte sicherte.

In den ersten Jahrzehnten haben die Passauer Bischöfe durch rechtliche Absicherung und durch Übertragung von Einkünften aus den Pfarren Aschbach und Wolfsbach sehr wesentlich zur Wirtschaftskraft des Klosters beigetragen, das eine bedeutende Rolle in der Erschließung und Kolonisation des Voralpenlandes spielen sollte. Früh schon dürften Besitzrechte in St. Georgen in der Klaus und Waidhofen (ad clusam et Waidhouen) dazugekommen sein. Als zweiter Gründer gilt Erzbischof Wichman von Magdeburg, der Kanzler Kaiser Friedrichs I. Barbarossa, der um 1185 dem Kloster alten Familienbesitz mit Kern um Ybbsitz schenkte. Die Privilegierungen durch die Babenberger seit Ende des 12. Jahrhunderts sicherten den Bestand des Klosters über die Gründerzeit hinaus.

Baulich hat sich aus dem Jahrhundert der Gründung nur die romanische „Ritterkapelle" erhalten. Um 1250 zerstörte ein Brand den Klosterbau. Die Stiftskirche wurde im frühgotischen Stil errichtet, der Kirchenbau allerdings erst nach einer mehr als hundertjährigen Unterbrechung in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts vollendet. Interessenkonflikte mit dem Bistum Freising führten im 13. Jahrhundert zu einem langwierigen Streit (1254-1261) um die Pfarren Aschbach, Waidhofen und Hollenstein, mit dem Ergebnis, dass Aschbach dem Stift verblieb. Im 15. Jahrhundert erlebte Seitenstetten nach dem Anschluss an die Melker Reform unter Abt Johannes (1431) eine Blütezeit. Der Kirchenbau wurde vollendet, 1440 die Wallfahrtskapelle am Sonntagberg errichtet und 1480 die Orte Seitenstetten und Ybbsitz auf Bitten des Abtes von Kaiser Friedrich III. zu Märkten erhoben. Das Kloster konnte seinen Besitz vermehren und wurde zu einer Pflegestätte des Humanismus.

In der Reformationszeit wurden Markt und Kloster evangelisch. Abt Elias Portschens (1565-1568) wurde lutherischer Prädikant, sein Nachfolger Abt Michael Bruckfelder heiratete 1572 (so genannte „Prälatenhochzeit"). Nach der katholischen Restauration unter den nachfolgenden Äbten wurde in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts mit dem barocken Umbau des Stiftes begonnen. Das Stiftsgebäude wurde neu errichtet und 1670 bis 1709 die frühgotische Kirche barockisiert, wegen ihrer schwarzgoldenen Einrichtung auch „die goldene Kirche" genannt. Das heutige Aussehen erhielt das Stift in den Jahren 1718 bis 1747 durch den Barockbaumeister Joseph Munggenast und (ab 1741) durch Johann Gotthard Hayberger. Seitenstetten zählt neben Stift Altenburg zu den bedeutendsten Werken Munggenasts.

Die rechteckige Anlage mit vier Höfen ist eine der wenigen vollständig realisierten barocken Klosterplanungen des Landes. Zu den prächtigsten Räumen zählen die Prälaturstiege mit dem Deckenfresko Bartolomeo Altomontes („Triumph des hl. Benedikt") sowie der Marmorsaal und die Bibliothek mit Fresken von Paul Troger. Abt Dominik Gußman (1747-1777) stattete die Bibliothek reich aus, errichtete ein Naturalienkabinett und eine Bildergalerie, die neben Werken von Magnasco, Altomonte und Troger mehr als 70 Gemälde des Kremser Schmidt umfasst. Ebenfalls barockisiert wurde der Meierhof und der Klostergarten. 

Ins 17. und 18. Jahrhundert fällt auch die barocke Ausgestaltung der dem Stift inkorporierten Wallfahrtskirche am Sonntagberg, für die 1614 Abt Kaspar das Gnadenbild der hl. Dreifaltigkeit malen ließ. 1643 wurde der Hochaltar errichtet, 1706 bis 1732 erbauten Jakob Prandtauer und nach ihm Joseph Munggenast die Barockkirche, die von Daniel Gran mit Fresken ausgestattet wurde (1738-1743).

Seit dem 19. Jahrhundert ist Seitenstetten für seine Schule berühmt. 1814 wurde die Lateinschule in ein öffentliches Gymnasium mit angeschlossenem Konvikt umgewandelt und 1866 zu einem Obergymnasium erweitert. Zu den bekanntesten Schülern gehören die Bischöfe Kardinal Nagl, Memelauer und Zak, die Historiker Kretschmayer und Zibermayer sowie Bundespräsident Miklas und Bundeskanzler Raab. Zu den bedeutendsten Wissenschaftlern des Konvents zählen der Historiker Gottfried Frieß, der Theologe Carl Jellouschek, Professor für Dogmatik und Rektor der Universität Wien, und der Literaturhistoriker Anselm Salzer.

Bis heute ist das Stift geistlich-kulturelles Zentrum der Region. Außer dem Stiftsgymnasium, einem Jugendzentrum (Schacherhof), einem Exerzitienhaus (Haus Gennesaret) und der Wallfahrtsbasilika Sonntagberg - 1964 von Papst Paul VI. zur „Basilika minor" erhoben - werden vom Stift insgesamt 14 Pfarren seelsorglich betreut: Aschbach, Biberbach, Krenstetten, Mauer-Öhling, Wolfsbach, Ybbsitz, St. Michael am Bruckbach, St. Georgen in der Klaus, Sonntagberg, Allhartsberg, Seitenstetten, St. Johann in Engstetten und Windhaag. In der öffentlich zugänglichen Stiftsgalerie sind an die 1000 Kunstwerke ausgestellt. Eine Besonderheit ist der anlässlich des Millenniums 1996 revitalisierte Hofgarten. Die jeweils einer Epoche gewidmeten fünf Gartenräume - Kräutergarten, Rosengarten, Garten des 19. Jahrhunderts, Nutzgarten und Barockgarten - laden im wahrsten Sinn des Wortes zu einem Gang durch die Geschichte des Klosters ein.