Sitzenthal


Gemeinde Loosdorf

Ortsgeschichte

Nordöstlich von Loosdorf liegt in einem Talkessel der Ort Sitzenthal, der mit seinem Ansitz bzw. Schloss in enger Verbindung mit dem nahen Albrechtsberg stand. Für das 12. Jahrhundert werden hier Gefolgsleute der Grafen von Schala, für das 13. Jahrhundert der Grafen von Plain vermutet. Die erste dokumentierte Nennung für Sitzenthal ist für 1287 nachzuweisen, als Hertwig von Wasen und seine Frau Diemud ihren Meierhof in Sitzenthal dem Stift Melk schenkten. Die Feste dürfte zu dem Zeitpunkt schon in klösterlichem Besitz gewesen sein. 1291 kamen der Meierhof und die Burg an Otto von Zelking. Die Waser blieben Zweitbelehnte (Afterlehner) der Zelkinger. Im 14. Jahrhundert hatten die Hager und die Flemings die Feste inne und nannten sich ab 1351 nach Sitzenthal. 1366 scheinen wieder die Zelkinger auf. Sie dürften das Erstlehen gehabt und das Gut weiterverliehen haben. Die Besitzverhältnisse wechseln im Laufe der nächsten Jahrhunderte oft.

So erwarb 1613 Ludwig von Starhemberg, der Herr auf Schönbühel und Wolfstein, Sitzenthal nebst Albrechtsberg und Pielach. Er gehörte zu den Unterzeichnern des Horner Bundes. Gemeinsam mit seinem Bruder Gotthard von Starhemberg führte er während des Dreißigjährigen Krieges Truppen im Kampf gegen den Kaiser an und belagerte u. a. Melk (1619). Ihre Truppen mussten sich zurückziehen, und die kaiserlichen Truppen plünderten Ludwigs Schlösser. Die Güter wurden als Rebellengut durch die landesfürstliche Finanzkammer konfisziert. 1623 erwarb Hans Ruprecht Hegenmüller von Dubenweiler Sitzenthal und Albrechtsberg.

1843 erwarb Graf Anton Ledóchowski das Schloss, dass er jedoch um 1850 an den Grafen N. Seilern weiterverkaufte. Er zog nach Loosdorf und ließ sich dort eine Villa errichten, in der seine berühmten Kinder, die selige Maria Theresia Ledóchowski, die heilige Ursula Ledóchowski sowie sein Sohn Wladimir Ledóchowski zu Welt kamen. Ab 1866 war der Abgeordnete zum Landtag von Niederösterreich Franz von Falkenhayn Schlossbesitzer. Er beschäftigte sich mit dem sozialen Elend seiner Landbevölkerung. Wenig später erwarb Helge Freiherr von Hammerstein- Equord Anteile und gründete den Vorschussverein in Loosdorf, der als einer der ersten Kreditinstitute des Landes anzusehen ist. Gemeinsam mit seiner Frau war er Förderer der „Kinderbewahranstalt“ Caritas für Sitzenthaler Mädchen. Sein in Sitzenthal geborener Sohn Hans August Freiherr von Hammerstein- Equord war 1936 Justizminister und auch als Schriftsteller tätig. Von 1935 bis 1938 war er Präsident des Österreichischen P.E.N.-Clubs. Seit 1897 ist die Grafenfamilie Braida Schlosseigentümerin.

Bekannt wurde Sitzenthal durch eine Denkschrift, die das k.k. Bezirksamt Melk an die „hohe Staatsverwaltung“ 1857 richtete und die Eingang in den ersten Jahrgang der Blätter für Landeskunde 1865 fand. Darin wurde die Auflösung der als „lebensunfähig“ angesehenen Gemeinde Sitzenthal gefordert. Grund hierfür waren die in den Augen der Behörden unhaltbaren sozialen und sittlichen Zustände in dem Ort. Die Bevölkerung setzte sich fast ausschließlich aus Angehörigen der „Jenischen“ zusammen. Angeblich wurden unter Maria Theresia entlassene Häftlinge in Sitzenthal angesiedelt, die durch Arbeit im Meierhof resozialisiert werden sollten. Einige sammelten als Zuverdienst Hadern, vielleicht für die Loosdorfer Firma Hammerschmidt (heute Bauhof), die hochwertiges Patronenpapier erzeugte. Viele der hier Angesiedelten verdienten zudem als Fahrende und Hausierer ihren Lebensunterhalt, nur wenige arbeiteten im Meierhof oder gingen anderen Berufen nach. Der Ruf der Ortschaft war denkbar schlecht, die Bewohner lebten unter ständigen Verdächtigungen. Außerdem verwendeten sie ihre eigene Sprache, das Jenische – eine Varietät der deutschen Sprache, die vom „fahrenden“ Volk in Mittel- und Westeuropa gesprochen wird. Die Gemeinde- und Bezirksbehörden lebten in der ständigen Furcht, neben ihren eigenen Armen auch noch die große Zahl der Armen und Erwerbsunfähigen versorgen zu müssen. Sitzenthal bestand zu dieser Zeit aus etwa 21 Häusern, zählte aber mindestens 200 Bewohner/innen., die Zahl derer, die in dieser Gemeinde zuständig waren, wurde auf bis zu 600 geschätzt. Unverständnis für eine unangepasste Lebensweise führte zur Abfassung dieser unmenschlichen Denkschrift.