Das Graphische Kabinett
Abt Gottfried Bessel, der Bauherr des barocken Klosters, legte eine große Kupferstichsammlung von etwa 20.000 Blättern an. Er besaß weitreichende Kontakte nach Deutschland und Italien, war selbst viermal in Rom und ein Kenner der Grafik seiner Zeit. Er erwarb eine große Zahl der bedeutendsten Stücke der deutschen Schule - darunter Arbeiten von Martin Schongauer, Lukas Cranach und Albrecht Dürer - sowie 4000 Stiche aus der niederländischen Schule und 3000 Grafiken der italienischen Schule mit besonderen Kostbarkeiten. Wenig vertreten sind hingegen französische Meister, die englische Schule fehlt überhaupt. Weiters erwarb Bessel auch zahlreiche Bücher, in denen Holzschnitte, Kupferstiche und Federzeichnungen eingebunden waren. Bei dieser Sammeltätigkeit war ihm auch sein in Rom lebender Bruder Franz behilflich, selbst ein eifriger Sammler, der ihm seinen Besitz vermachte.
Teil der Sammlung ist auch ein Porträt des Abtes selbst, der 1730 den Zeichner und Kupferstecher Martin Bernigeroth aus Leipzig damit beauftragte, sowie Stiche Salomon Kleiners vom geplanten Neubau des Stiftes nach den Plänen Lukas von Hildebrandts. Kleiner schuf 1719 fünf Ansichten vom Stift, so wie es nach der geplanten Vollendung - aus den verschiedenen Himmelsrichtungen betrachtet - aussehen sollte.
Die Kupferstichsammlung wurde vor allem aus dem Gehalt des Abtes als Verordneter des Prälatenstandes und vom Verkaufserlös seines Werkes "Chronicon Gotwicense" finanziert. Für die Unterbringung ließ er im ersten Stock des Südost-Turms eine Turmstube als Kunstkabinett einrichten. In der Folgezeit wurden die Sammlung erweitert, sodass sie heute mit rund 30.000 Blättern die zweitgrößte Sammlung in Österreich ist. 2002 wurde die Sammlung in der so genannten Alten Burg untergebracht und bildet das Herzstück des ebenfalls dort eingerichteten Zentrums für Bildwissenschaften der Donauuniversität.
(Quelle: Landeschronik Niederösterreich, 2. Aufl. 1994, S. 247)