Tulln an der Donau


Gemeinde Tulln an der Donau

Ortsgeschichte

Die Messe- und Gartenstadt Tulln, Zentrum des Tullner Beckens, blickt auf eine 2000-jährige Tradition zurück. Im 1. Jahrhundert n. Chr. errichteten die Römer an dem von alters her wichtigen Donauübergang das Reiterkastell Comagena bzw. Comagenis, benannt nach der dort stationierten Reitereinheit aus dem nordsyrischen Königreich Kommagene. Als Teil des Limes sicherte es die römische Grenze gegen den Norden. Der Grundriss der bis zum 5. Jahrhundert bestehenden Anlage ist bis heute in der Struktur der Altstadt erkennbar. Von der römischen Befestigung hat sich der „Römerturm" bzw. „Salzturm" erhalten, ein Flankenturm zur Sicherung der Westmauer (um 300), einer der wenigen fast vollständig erhalten antiken Bauwerken nördlich der Alpen. Seit dem Spätmittelalter diente er als städtisches Zeughaus und Salzlager, daher auch der Name „Salzturm".

Ende des 5. Jahrhunderts wird Comagenis noch als Wirkungsort des hl. Severin in der Vita Severini erwähnt. Danach fehlen für drei Jahrhunderte schriftliche Nachrichten, doch lassen Langobardengräber aus dem 6. Jahrhundert die Kontinuität der Siedlung vermuten. Erst wieder 791 wird der Ort im Zusammenhang mit einer Schanze der Awaren erwähnt, die bei Comagenis lag. Im 9. Jahrhundert war Tulln Sitz eines karolingischen Grenzgrafen. Die alte Siedlung wurde nun nach dem Fluss Tulln Tullina benannt und hatte vor allem als Stapelplatz an der Donau Bedeutung. In der Babenbergerzeit wurde Tulln als Gerichts- und Handelsplatz ein Hauptort der frühen Mark. Die Erinnerung an die Stellung im frühen Mittelalter findet sich noch in späteren literarischen Quellen. Nach dem um 1200 entstandenen Nibelungenlied soll König Etzel seiner Braut Krimhild bis Tulln entgegengezogen sein, und im 13. Jahrhundert bezeichnete Jans Enenkel Tulln sogar als einstige „Hauptstadt" des Landes, was urkundlich aber nicht nachweisbar ist.

Der älteste Teil der Stadt ist das nordöstliche Viertel im Bereich des Römerkastells mit der 1014 gegründeten Pfarrkirche, einer Stadtburg (später Dominikanerinnenkloster) und einem Marktplatz. Nach einer planmäßigen Erweiterung um einen rechteckigen Stadtplatz im 13. Jahrhundert bildete die Stadtmauer mit symmetrisch angeordneten Toren ein Viereck, umgeben von Graben und Wall. Entlang der Donaulände gab es nur einen Wall. Die Stadtbefestigung wurde großteils 1860 geschleift, letzter Rest ist der 1560 errichtete „Stadtturm".

Seit Ende des 12. Jahrhunderts wurde Tulln mit Maut- und Handelsrechten reich privilegiert. Die Herzöge Leopold VI. (1198-1230) und Friedrich II. (1230-1244) sollen Tulln Stadtrechte verliehen haben, die aber nicht erhalten sind. Seit der Mitte des 13. Jahrhunderts ist Tulln als „Stadt" sicher belegt, 1270 erneuerte König Ottokar II. das Tullner Stadtrecht. Er gewährte der Stadt zudem eine Ordnung für die Schiffsleute (1261), die in ihren Rechten den Wienern gleichgestellt wurden, sowie die älteste niederösterreichische Handwerksordnung (1267) - beide Privilegien sind Belege für die Bedeutung Tullns als Handelsstadt.

Eindrucksvolle Zeugnisse der mittelalterlichen Blüte ist die dem hl. Stephan geweihte Pfarrkirche, eine dreischiffige Pfeilerbasilika aus dem späten 12. Jahrhundert mit später angefügtem gotischen Chor und Säulenporta, sowie der benachbarte spätromanische Karner, die so genannte „Dreikönigskapelle", aus dem 13. Jahrhundert, der zu den schönsten in Österreich gehört. 1230 wurde das Minoritenkloster gegründet, das mit Unterbrechungen bis 1807 bestand und heute die Tullner Museen beherbergt. Die 1739 umgebaute Minoritenkirche zählt zu den schönsten spätbarocken Kirchen des Landes und ist mit ihren Nebenräumen - Loretto-Kapelle, Sakristei, Krypta, Eremitage - ein bis heute unverändert gebliebenes Ensemble.

In der alten Königsburg ließ König Rudolf I. von Habsburg (1273-1291) ein Dominikannerinnenkloster errichten, wo einige seiner früh verstorbenen Kinder beigesetzt wurden. Eine der bedeutendsten Persönlichkeiten dieser Zeit war Konrad von Tulln, Landschreiber und Verwalter der landesfürstlichen Finanzen, dessen Vermögen sowohl die Herrschaft des Königs Ottokar II. wie auch der ersten Habsburger mitfinanzierte. Auch im Spätmittelalter gehörte Tulln mit der Doppelstadt Krems-Stein und Korneuburg zu den wichtigsten Donaustädten in Niederösterreich, wenn auch nicht vergleichbar mit der Residenzstadt Wien.

In der Neuzeit verlor die Stadt ihre einstige wirtschaftliche Bedeutung, nicht zuletzt eine langfristige Folge der 1439 erbauten Donaubrücke bei Wien und der damit verbundenen Verlagerung des West-Ost-Verkehrs. Von den zwei verheerenden Brandkatastrophen in den Jahren 1752 und 1779 konnte sich die Stadt erst im 19. Jahrhundert erholen. Tulln wurde nach Abbruch der Stadtmauer ab 1861 erweitert und 1892 Sitz der Bezirkshauptmannschaft. 1874 wurde die Holzbrücke über die Donau durch eine eiserne Doppelbrücke für Staße und Bahn ersetzt. Als Verwaltungsmittelpunkt des Bezirks entwickelte sich die Stadt mit Lokalhandel und Gewerbe zum Zentrum des aufstrebenden, noch landwirtschaftlich geprägten Tullnerfeldes. Mit der Errichtung einer Zuckerfabrik 1936 setzte auch die Industrialisierung ein. Im Zweiten Weltkrieg kam es bei einem Bombenangriff am 11. Dezember 1944 zu den größten Zerstörungen in der Stadtgeschichte, am 8. April 1945 wurde die Donaubrücke gesprengt.

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts  entwickelte sich Tulln zu einer Messe- und Geschäftsstadt und konnte sich auch aufgrund ihrer verkehrsgünstigen Lage erfolgreich als Wirtschafts-, Bildungs- und Forschungsstandort etablieren. Aus dem alten Römerkastell wurde die „Rosenstadt", die seit 1953 so erfolgreich mit Blumen für sich warb, dass sich daraus zunächst die Gartenbaumesse und schließlich die „Tullner Messe" entwickelte. Tulln wurde zu einem der bedeutendsten Messeplätze in Österreich. 1986 bewarb sich Tulln auch als Landeshauptstadt und übernahm in der Folge zahlreiche landeshauptstädtische Funktionen wie Messewesen, Agrarwesen, Rotes Kreuz, Feuerwehr, Zivil- und Katastrophenschutz. Mit dem Technologiezentrum (TZT), dem interuniversitären Forschungszentrum für Argarbiotechnologie (IFA) und der Fachhochschule wurde die Stadt seit den 1990er Jahren zu einem internationalen Technologie-Standort.

An den wohl bedeutendsten Tullner, den 1890 im Bahnhofsgebäude geborenen Maler Egon Schiele, erinnert das anlässlich seines 100. Geburtstags im ehemaligen Bezirksgefängnis errichtete Egon Schiele-Museum, seit 1995 auch zwei Räume in seinem Geburtshaus. Die 1981 gegründete „Internationale Egon Schiele-Gesellschaft" widmet sich der Erforschung und Dokumentation von Leben und Werk des Künstlers.