Biographie
Viktor Adler, der Begründer der österreichischen Sozialdemokratie und Sozialdemokratischen Arbeiterpartei, wurde als Sohn einer jüdischen Kaufmannsfamilie in Prag geboren, besuchte das Wiener Schottengymnasium und studierte in Wien Medizin. Nach seinem Studium eröffnete er eine Praxis in der Berggasse 19 (9. Bezirk) - später sollte dort Sigmund Freud leben - und wurde bald als "Armeleute-Doktor" bekannt. Er engagierte sich zunächst in der deutsch-nationalen Bewegung und war gemeinsam mit Joseph Friedjung, Georg Ritter von Schönerer und Engelbert Pernerstorfer an der Abfassung des "Linzer Programms" von 1882 beteiligt, das für die engste Zusammenarbeit mit dem deutschen Reich eintrat und soziale Forderungen enthielt.
Als die Deutschnationalen unter dem Einfluss Schönerers Mitte der 1880er Jahre einen radikal antisemitischen Kurs einschlugen, wandte sich Adler von ihnen ab und widmete sich ganz der Arbeiterbewegung. 1886 gründete er die Wochenzeitschrift "Gleichheit" - sie wurde bis 1889 nicht weniger als 45-mal konfisziert - und machte auf einer Studienreise nach Deutschland, England und in die Schweiz die Bekanntschaft von Friedrich Engels, August Bebel und Karl Liebknecht.
Als Arzt wurde Adler auf die Ziegelarbeiter in den Wiener Lehmgruben aufmerksam, die auf Grund der Arbeitsbedingungen - Überschreiten des Elfstundentags, Kinderarbeit, menschenunwürdige Behausungen - schon in jungen Jahren unter Lungenschwindsucht, Tuberkolose und Gicht litten. Adler veröffentlichte in der "Gleichheit" eine Artikelserie über das Los der Ziegelarbeiter und klagte die öffentlichen Stellen, vor allem die Gewerbeinspektorate, der Untätigkeit an. Die Krankheiten waren nur Symptome, bekämpft mussten die gesellschaftlichen Ursachen werden.
Auf dem Hainfelder Parteitag (30. Dezember 1888 bis 1. Jänner 1889) gelang es Adler gemeinsam mit Pernerstorfer, die in radikale und gemäßigte Gruppen zersplitterte sozialistische Arbeiterbewegung durch die Annahme der "Prinzipienerklärung" zu einigen und damit die Sozialdemokratische Arbeiterpartei zu gründen, deren unumstrittener Führer er nun war. Als Parteiorgan folgte 1889 die "Arbeiter-Zeitung", die Adler als Chefredakteur ab dem 1. Jänner 1895 als Tageszeitung herausbrachte. Auf seine Initiative hin wurde der 1. Mai 1890 zum Tag der ersten großen Mai-Demonstration.
Adler war maßgeblich an der Abfassung des "Brünner Programms" beteiligt, das zur Lösung der Nationalitäten- und Sprachenfrage der Monarchie im Sinne der Gleichberechtigung die Umwandlung Österreichs in einen demokratischen Nationalitäten-Bundesstaat forderte. Wegen seines Engagements für die Arbeiterschaft stand er zwischen 1887 und der Jahrhundertwende 17-mal vor Gericht und verbüßte insgesamt neun Monate Gefängnishaft. 1901 wurde Viktor Adler in den niederösterreichischen Landtag und 1905 in den Reichsrat gewählt. Als einziger Sozialdemokrat gehörte er auch dem Wahlrechtsausschuss des Reichsrats an und setzte sich erfolgreich für das allgemeine (Männer-)Wahlrecht ein, das 1907 eingeführt wurde.
Viktor Adler war ein leidenschaftlicher Verfechter des Friedensgedankens, unterstützte aber 1914 die Kriegspolitik der Monarchie, was ihn in Gegensatz zu seinem Sohn Friedrich Adler brachte, der am 21. Oktober 1916 in einem Akt der Verzweiflung und des Protestes den Ministerpräsidenten Graf Stürgkh erschoss. In den Tagen der Auflösung der Monarchie trat Adler als Staatssekretär des Äußeren in der Provisorischen Regierung auf, im Oktober/November 1918 setzte er sich für den Anschluss von "Deutsch-Österreich" an das Deutsche Reich ein. Einen Tag vor Ausrufung der österreichischen Republik erlag Viktor Adler in Wien einem Herzleiden.