Biographie
Azzo gilt als Ahnherr und Stammvater der Kuenringer. In der sog. Zwettler Bärenhaut, dem zu Beginn des 14. Jahrhunderts entstandenen Zwettler Stifterbuch (Liber fundatorum), in dem die Geschichte der Kuenringer und die Schenkungen an das Stift Zwettl zusammengefasst wurden, ist auf Blatt 8 ein Stammbaum der Kuenringer mit den ersten Generationen abgebildet. Links oben wird Azzo gezeigt und neben ihm Markgraf Leopold und Erzbischof Poppo von Trier, der dem Markgrafen den Ritter als Helfer empfiehlt. Zu der Abbildung wird erzählt, dass sich der Markgraf, bedrängt von seinen Nachbarn, an seinen Bruder Erzbischof Poppo um Hilfe gewandt habe, der ihm seinen Verwandten Azzo, einen frommen und reichen Mann, mit einer stattlichen Anzahl Ritter schickte. In der Mark angekommen, sei Azzo vom erfreuten Markgrafen zum Marschall ernannt worden und habe einen glänzenden Sieg errungen. Leopold II. ließ ihn nicht mehr gehen, überhäufte ihn mit Ehren und Reichtümern, erhob ihn zum obersten Schenken und gab ihm eine der vornehmsten Damen zur Frau. Mit ihr hatte Azzo drei Söhne, Ansalm, Nizzo und Albero. Er starb als geehrter und geachteter Mann.
Hinter dieser in ihrem Kern auf das 13. Jahrhundert zurückgehenden Geschichte von den "Anfängen" der Kuenringer im 11. Jahrhundert wird zunächst das Selbstverständnis der Kuenringer des 13. Jahrhunderts greifbar, die damals zu den vornehmsten und reichsten Landherren zählten und die Ämter des obersten Marschalls und Schenken innehatten. Nach ihrer in der Bärenhaut schriftlich und bildlich erzählten Hausgeschichte gebührten ihnen alle diese, erst über viele Generationen erworbenen Rechte und Ehren "immer schon", da sie auf die Heldentaten der Gründergeneration zurückgehen würden.
Im Gegensatz zur Darstellung der kuenringischen Haustradition ist über die Anfänge der Kuenringer im 11. Jahrhundert nur wenig bekannt. Azzo ist tatsächlich der erste greifbare "Kuenringer", auch wenn sich dieser Name erst einige Generationen später durchsetzen sollte. Am 29. Dezember 1056 erhielt ein Azzo, serviens (Dienstmann) des Markgrafen Ernst, von König Heinrich IV. drei Königshufen in einem Ort namens Hecimanneswisa, der lange Zeit mit Kühnring, dem später namengebenden Ort des Geschlechts, gleichgesetzt wurde, was inzwischen als widerlegt gilt.
Eine solche Königsschenkung machte nicht unbedingt reich, sondern eröffnete vor allem Zukunftschancen, etwa durch Rodung und Ausbau reich zu werden. Bei dem ihm in der Hausgeschichte zugeschriebenen Sieg handelte es sich tatsächlich um eine verheerende Niederlage Markgraf Leopolds II. gegen Herzog Wratislaw von Böhmen bei Mailberg im Jahr 1082. Diese Schlacht blieb im Gedächtnis und wurde 200 Jahre später zumindest auf dem Pergament von einem Helden "gewonnen". Von einer Teilnahme Azzos ist tatsächlich nichts bekannt.
Für mehr als eine Generation nach Azzo verschwinden die Kuenringer wieder aus dem Blickfeld. Die in der Bärenhaut genannten Söhne Azzos gehören mit etlichen anderen wohl zur Enkelgeneration. Was Azzos Vorfahren bewog, in die Mark zu kommen und zu bleiben, ist nicht bekannt. Die Kuenringer leiteten später die Tradition ihrer Familie von den Eigenleuten des Babenbergers Poppo her, Sohn des Markgrafen Leopold I., der Erzbischof von Trier (1016) wurde. Sicher ist, dass die Kuenringer ihre eigentlichen Anfänge dem Dienst an der Seite der Babenberger verdankten. So wird Azzo in der Urkunde ausdrücklich serviens des Markgrafen und nicht des Königs genannt, auch wenn später die Hausgeschichte betont, dass er nur dem Markgrafen "geliehen" wurde, also eigentlich vom Reich kam und damit Partner und nicht Untergebener des Markgrafen war.
In Azzo als heldenhaftem Ahnherrn und Stammvater verdichtete sich gleichsam das Selbstverständnis und Selbstbewusstsein der zu mächtigen Landherren aufgestiegenen Kuenringer des 13. und beginnenden 14. Jahrhunderts, deren Identität für die Ausgestaltung der Haustradition bestimmend wurde.