"Das große Protokoll gegen Zwetschkenbaum"
Unter einem Zwetschkenbaum sitzt ein Mann namens Schmul Leib Zwetschkenbaum: ein junger Jude im Kaftan und mit Scheitellocken, mit ein paar Kreuzern in der Tasche. Er wird von dem Ortsgendarmen Johann Schöberl als verdächtig angehalten. Als verdächtig des Zwetschkendiebstahls, in Wahrheit aber, weil er Jude ist und eo ipso schon verdächtig: schon damals, lang vor den Nazis, nämlich gegen Ende des Ersten Weltkriegs, irgendwo in Niederösterreich. Und weil man ihn nun schon mal festgenommen hat, behält man ihn auch in Gewahrsam, abwechselnd im Gefängnis und im Irrenhaus. Schließlich wird seine Freilassung erwirkt, aber von Leuten, die sich seiner bedienen wollen, um bequem zu Geld zu kommen. In dieser neu gewonnenen Freiheit verstrickt er sich nun tatsächlich, paradoxerweise aus Angst vor unrechtem Tun, in Gesetzwidrigkeiten: er wird zum ahnungslosen Hehler im Dienste zweier jüdischer Gauner. Drach schildert diese Begebenheiten nicht als Moralist, sondern als Erzähler: er bedient sich dabei der Form des Protokolls, das ein angehender Jurist verfasst, und zwar in echt österreichischem Amtsdeutsch. Das allein genügt, um moralisierendes Pathos und Sentimentalität gar nicht aufkommen zu lassen.