Biographie
Joseph II. zählt zu den umstrittensten habsburgischen Herrschern, der von seinen Zeitgenossen und der Nachwelt sehr unterschiedlich beurteilt wurde. Wegen seiner Reformen wurde er ebenso gefeiert wie gehasst. Bis in das 20. Jahrhundert war die Beurteilung seiner Regierungszeit von Polemik geprägt.
Joseph war der älteste Sohn und damit Thronfolger der insgesamt 16 Kinder von Maria Theresia und Kaiser Franz I. Stephan. Seine Erziehung stand unter dem Einfluss der Ideen der Aufklärung, die ihn entscheidend prägten und ihn in zunehmendem Gegensatz zu seiner Mutter bringen sollten. Seiner Familie wie überhaupt anderen Menschen gegenüber war er zurückhaltend und reserviert. Eine große Rolle in seinem Leben spielte allerdings seine erste Frau, die charmante und unkonventionelle Isabella von Bourbon-Parma, die er 1760 heiratete und die für ihn angebetete Gattin und einzige Freundin war. Ihr früher Tod drei Jahre später stürzte ihn in tiefe Verzweiflung. Auch ihre gemeinsame Tochter starb frühzeitig im Alter von acht Jahren. Seine zweite, aus politischen Gründen geschlossene Ehe mit der Wittelsbacherin Maria Josepha war von Distanz geprägt und blieb von Seiten Josephs bewusst kinderlos. Er sah sich nach der Geburt seines Neffen Franz 1768, später Kaiser Franz II., von der Pflicht entbunden, für einen Thronfolger zu sorgen und ließ Franz für den Thron erziehen.
Joseph II. übte schon in relativ jungen Jahren die Herrschaft aus, aber lange Zeit nicht allein. Noch zu Lebzeiten seines Vaters zum römisch-deutschen König gekrönt (1764), wurde er nach dessen Tod 1765 Kaiser, machte sich aber durch seine Reformversuche im Reich Feinde. Maria Theresia erklärte ihn 1765 zum Mitregenten, behielt aber weiterhin die Kontrolle über die Regierungsgeschäfte. Erst nach ihrem Tod 1780 konnte er in der Zeit seiner zehnjährigen Alleinregierung sein Reformprogramm im Geist der Aufklärung unbeschränkt verwirklichen - zu rasch und zu radikal, sodass viele Maßnahmen sehr unpopulär waren und zurückgenommen werden mussten.
Zu Josephs Regierungsstil gehörte das Reisen, meist inkognito als Graf von Falkenstein, weshalb er sich den Vorwurf einhandelte, "vom Postwagen aus" zu regieren. Er bereiste die Habsburgermonarchie und andere Staaten Europas, wobei der Zweck der Reisen vielfältig war: Anregungen, Kontrolle, vor allem aber Interesse und Kennenlernen von Land und Leuten, wohl auch Flucht vor dem Zeremoniell und den Konflikten am Hof. In seinen Reisen und im Umgang mit dem einfachen Volk ist das Neue des Regierungsstils seiner Epoche vielleicht am deutlichsten greifbar. Zahlreiche Anekdoten ranken sich um diese Reisen, am bekanntesten ist jene vom pflügenden Kaiser: Als er 1769 Mähren bereiste, zog er im Ort Slavikovice mit dem Pflug des Bauern Andreas Trnka zwei Furchen im Boden. Im 19. Jahrhundert wurde dieser Akt des Pflügens Teil des Klischeebildes von Joseph als dem volkstümlichen Herrscher.
Sein umfangreiches Reformwerk betraf alle Bereiche des Staates und der Gesellschaft und griff insbesondere in den religiösen Belangen sehr spürbar in das Alltagsleben der Bevölkerung ein. Mit dem Schlagwort "Josephinismus" wird entweder die Gesamtheit der Reformen oder auch deren Kernstück, die Kirchenpolitik, bezeichnet. Ziel war ein aufgeklärter, zentralistisch-absolutistischer Musterstaat, verwirklicht durch eine Flut von Gesetzen und Erlässen, die gemäß Josephs Wahlspruch "Alles für das Volk, nichts durch das Volk" das Leben von oben regeln und verbessern sollte. Grundlegend war das Prinzip der Nützlichkeit für Staat und Gesellschaft, der "Nutzen und das Beßte der größeren Zahl", wie Joseph 1783 den Zweck der Reformen selbst definierte. Dazu mussten die staatlichen Kontrollmöglichkeiten ausgebaut sowie die Untertanen und wirtschaftlichen Ressourcen erfasst werden. Die Verwaltung wurde daher unter Beseitigung bzw. Einschränkung der ständischen und städtischen Selbstverwaltung zentralisiert sowie ein Polizeiapparat zur Überwachung von Ordnung, Sicherheit und Sitte aufgebaut (Entstehen der Landespolizeidirektionen).
Es wurde das Land vermessen, die Häuser wurden nummeriert, Volkszählungen vorgenommen und - gegen den Widerstand der Grundherren - die Steuern durch Neuregulierung gerechter und damit effizienter verteilt (1789). Wirtschaftspolitisch wurde Maria Theresias Bauernschutzpolitik zur Stärkung der Landwirtschaft fortgesetzt, 1781 die in manchen Ländern der Monarchie noch bestehende Leibeigenschaft aufgehoben (böhmische Länder, Galizien, Ungarn). Gleichzeitig wurden neue Anbaumethoden propagiert (Fruchtwechsel, Kartoffeln). Die Gewerbefreiheit von 1784 sollte durch endgültige Zurückdrängung der Zünfte Handel und Gewerbe fördern. Im Gerichtswesen wurden in der Strafgerichtsordnung von 1784 Justiz und Verwaltung getrennt und nach der bereits 1776 erfolgten Abschaffung der Folter auch die Todesstrafe aufgehoben und - im Sinne des gesellschaftlichen Nutzens - durch schwere körperliche Arbeit ersetzt.
Im Bereich der Bildung wurde nach EInführung der Schulpflicht 1774 die Schulorganisation verbessert. An jedem Pfarrort sollte es eine Schule geben und nach normierten Lehrbüchern unterrichtet werden. Die sozialen Maßnahmen konzentrierten sich vor allem auf Wien, wo nach dem Vorbild des Hôtel de Dieu in Paris das Allgemeine Krankenhaus für insgesamt 2000 Patienten gebaut wurde (Eröffnung 1784), das baulich wie organisatorisch europaweit Vorbildcharakter hatte. Zu den zahlreichen Reformen gehörten auch die allgemeine Zugänglichkeit des Praters (1766), bis dahin kaiserliches Jagdrevier, und des Augartens (1775).
Das Kernstück der Gesetzgebung bildeten die religiösen Maßnahmen, beginnend mit der Toleranzgesetzgebung für Protestanten und Griechisch-Orthodoxe (Toleranzpatent 1781), die bürgerliche Gleichheit und Kultusfreiheit erhielten, sowie für die Juden (1782), deren gesellschaftliche Eingliederung und Assimilierung durch Zulassung zu Handwerk, Gewerbe und Industrie und durch Aufhebung der Kleidungsvorschriften eingeleitet wurde. Weitere Reformen griffen direkt in die inneren Angelegenheiten der Kirche ein und sollten im Interesse von Schlichtheit, Nützlichkeit und Wirtschaftlichkeit die Auswüchse des Barockkatholizismus beseitigen. Das kirchliche Zeremoniell - Gottesdienstordnung, Gesang, Kerzenanzahl usw. - wurde detailliert geregelt, die Zahl der Feiertage, Wallfahrten und Prozessionen reduziert, die Bruderschaften aufgehoben, beliebte Volksbräuche verboten. Am bekanntesten ist die Begräbnisregelung, die etwa die Verwendung von sparsamen Klappsärgen für die in Säcken bestatten Leichen vorsah, was auf Grund des Widerstands der Bevölkerung zurückgenommen werden musste. Aufrecht blieb aber das Dekret von 1784, aus hygienischen Gründen Friedhöfe und Grüfte außerhalb der Städte und Orte zu verlegen.
Die Priesterausbildung und die Klosteraufhebungen waren die strittigsten Maßnahmen des Kaisers, die am deutlichsten die im 18. Jahrhundert verbreitete Auffassung von der Kirche als eine dem Staat untergeordnete und ihm dienende Institution zum Ausdruck bringen. Die Priester sollten in den ab 1783 errichteten staatlichen Generalseminarien im josephinischen Geist ausgebildet werden. Diese vom Staat besoldeten "Beamten im schwarzen Rock" hatten durch die verpflichtende Matrikenführung über Geburten, Sterbefälle und Heiraten staatliche Verwaltungsaufgaben zu erfüllen und sollten durch Predigt und Seelsorge auch im Interesse des Staates wirken (Förderung der staatsbürgerlichen Haltung, Propagierung des Kartoffelanbaus, der Impfungen usw.).
Aus einer Pfarre wurde das "Pfarramt". Die - bis 1938 bestehende - staatliche Besoldung erfolgte aus dem im Religionsfonds gesammelten Vermögen der aufgehobenen Klöster, die mit dem Erlass von 12. Jänner 1782 begann, gefolgt vom so genannten "Klostersturm" 1783. Die für 1791 geplante dritte Welle kam durch den Tod Josephs nicht mehr zustande. Etwa die Hälfte aller Klöster der Monarchie wurde aufgehoben, wobei vor allem jene betroffen waren, die weder Schule oder Spital unterhielten oder sich nicht auf wissenschaftlichem oder kulturellem Gebiet betätigten. In Niederösterreich wurden insgesamt 50 Männerklöster und elf Frauenkonvente für immer aufgehoben, darunter die Kartausen Aggsbach, Gaming und Mauerbach, das Benediktinerstift Klein-Mariazell, die Augustiner-Chorherrenstifte St. Pölten, Dürnstein, St. Andrä an der Traisen, die Propstei Ardagger und die Dominikaner in Krems, die Zisterzienserstifte Säusenstein und vorübergehend Lilienfeld.
Zu den weiteren bleibenden Maßnahmen zählte die Bistumsorganisation, die den territorialen Grenzen angeglichen wurde, sowie die Pfarrregulierung. Ober- und Niederösterreich wurden aus der Zuständigkeit des Bistums Passau herausgenommen, Oberösterreich dem neuen Bistum Linz, Niederösterreich den Bistümern St. Pölten (wohin das Bistum Wiener Neustadt verlegt wurde) und Wien unterstellt. Die Diözesen Seckau, Gurk und Lavant wurden wesentlich erweitert. Die aus dem Religionsfonds finanzierte Neuregulierung der Pfarren sollte die Erreichbarkeit einer Kirche innerhalb einer Gehstunde gewährleisten und hatte durch Teilung großer Pfarren bzw. Errichtung zahlreicher kleinerer Pfarren eine erhebliche Verdichtung des Pfarrnetzes und damit eine Verbesserung der Seelsorge für die Untertanen zur Folge.
Gegen Josephs Politik regte sich von den verschiedensten Seiten zunehmender Widerstand. Auf kirchlicher Seite war der Wiener Erzbischof Kardinal Migazzi einer seiner entschiedensten Gegner, doch selbst der Besuch des Papstes Pius VI. 1782 in Österreich konnte die kirchlichen Maßnahmen nicht verhindern, zumal viele Geistliche eine Reformierung der barocken Volksfrömmigkeit durchaus unterstützten. Gerade diese Eingriffe in das Glaubensleben und das Brauchtum, bisher unverzichtbarer Bestandteil der Lebensdeutung und Lebensbewältigung, stießen auf massiven Widerstand der Bevölkerung, sodass der Kaiser kurz vor seinem Tod zur Aufhebung etlicher Maßnahmen gezwungen war.
Im Adel erhob sich Widerstand gegen die Steuerregulierung. Ungarn und die österreichischen Niederlande befanden sich am Ende von Josephs Regierungszeit im offenen Aufstand. In beiden Ländern hatte er lokale Verwaltungstraditionen und Sonderrechte aufgehoben. Das Verhältnis zu Ungarn war zudem wegen des Verzichts des Kaisers auf die Krönung mit der Stephanskrone, die er nach Wien bringen ließ, von Beginn an schwer belastet; ein weiteres Ärgernis war die Einführung der deutschen Amtssprache statt der lateinischen in Ungarn. Die Verwicklung in einen ungünstig verlaufenden Krieg gegen die Osmanen ab 1788 an der Seite des Bündnispartners Russland und die als Folge des Krieges ausbrechende Teuerung steigerte den allgemeinen Unmut gegen Josephs Regierung. Als der an Tuberkulose erkrankte Kaiser im Februar 1790 starb, hinterließ er seinem Bruder und Nachfolger Leopold II. daher ein schweres Erbe. Joseph selbst empfand sich nach der von ihm verfassten Grabschrift als gescheitert:"Hier ruht Joseph II., der in allem versagte, was er unternahm."
Leopold II. sollte es allerdings gelingen, die wichtigsten Grundtendenzen des josephinischen Reformwerkes für die Zukunft zu retten, das insgesamt gesehen einen zu rasch durchgeführten Modernisierungsschub brachte und wesentlich zur Entstehung einer neuen Staatlichkeit beigetragen hatte. Im 19. Jahrhundert wurde Joseph besonders von den Bauern und den Liberalen verehrt und hoch geschätzt - er wurde zur Legende. Aus ihm wurde Joseph "der Antiklerikale", "der Liberale", "der Deutsche", "der volkstümliche Herrscher", "der Pflügende" und "der Bauernbefreier", dem vor allem in Böhmen unzählige Denkmäler errichtet wurden. In der Kirche gab es neben den ihn völlig ablehnenden Kreisen bis weit in das 19. Jahrhundert josephinisch gesinnte Geistliche und hohe kirchliche Würdenträger. Die lange Zeit sehr polemisch geführte Diskussion um den Josephinismus ist nicht zuletzt Ausdruck der Ambivalenz der Reformen zwischen aufklärerischen Ideen und Absolutheitsanspruch des Herrschers.