Biographie
Hermann Nitsch gehört zusammen mit Günter Brus, Otto Mühl und Rudolf Schwarzkogler zu den Hauptvertretern des so genannten Wiener Aktionismus. Nach einer handwerklichen, gebrauchsgrafischen Ausbildung an der Grafischen Lehr- und Versuchsanstalt in Wien (1953-1958) arbeitete er als Grafiker im Technischen Museum Wien. Bereits 1954 hatte er zu malen begonnen und interessierte sich vor allem für die Werke El Grecos, Tizians und Rembrandts. In seinen frühen Darstellungen auf Papier dominierten religiöse Themen, besonders die Kreuzigung.
Schon in dieser frühen Zeit entwickelt Nitsch das erste Konzept für ein Orgien-Mysterien-Theater, ein als Gesamtkunstwerk gedachtes Fest, in dem alle Künste vereinigt werden sollen. Die Idee greift auf archaische Fruchtbarkeits- und Opferkulte, Mysterienspiele und Weihezeremonien zurück. Angeregt durch den Abstrakten Expressionismus, fand Nitsch ab 1960 wieder zur Malerei, es entstanden die ersten Rinn- und Wachsbilder. Am 18. November 1960 führte er im Technischen Museum die erste von acht Malaktionen durch, wobei der Malprozess selbst, das expressiv-sinnliche Verschütten von roter Farbe, wichtiger ist als das Resultat. Bis 1966 veranstaltete er weitere Aktionen in Wien, die wegen ihrer offenen Tabuverletzung zahlreiche Prozesse und drei Verurteilungen nach sich zogen (Gefängnisstrafen wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses und Blasphemie). Nitsch wollte durch Schock, Provokation und Tabubrechung, durch "Abreaktionsspiele" und eine Ästhetik des Schreckens eine Katharsis mit bewusstseinsverändernden und gleichsam therapeutischen Wirkungen erzielen.
Die Aktionen oder Festspiele verstehen sich als Gesamtkunstwerke, die Aktionskunst und Musik, rituelle Handlungen, Kreuzigungsrituale mit nackten Akteuren und Tierschlachtungen, kontrollierten Rausch und dionysische Ekstase einschließen. Der Ablauf ist jeweils in einer von Nitsch geschriebenen "Partitur" festgelegt, wobei die Aktionen im Dienst einer hymnischen Feier des Lebens, einer Art von "Existenzverherrlichung" stehen. Er verarbeitet unter anderem Einflüsse der antiken Tragödie, aber auch von C. G. Jung, de Sade, Antonin Artaud, Richard Wagner und Alexandr Skrjabin.
1971 kaufte Nitsch das nördlich von Wien gelegene Schloss Prinzendorf, in dem seither seine Aktionen stattfinden: 1975 eine 24-Stunden-Aktion, 1984 die 80. Aktion, ein Drei-Tage-Fest, zu dem die rituelle Begrüßung der Sonne, eine Stierschlachtung, die Einnahme von Brot und Wein, Lärmmusik usw. gehörten. Das Orgien-Mysterien-Theater fand 1998 im Sechs-Tage-Spiel in Prinzendorf seinen vorläufigen Höhepunkt, das von Protesten von Tierschutzgruppen gegen die Schlachtung dreier Stiere und Verwendung von Tierkadavern und Tierblut begleitet war. Das Fest wurde auch von hochrangigen Kirchenvertretern kritisiert. Bei der Veranstaltung wirkten etwa 300 Akteure mit, Regie führte der deutsche Schriftsteller und Filmemacher Alfred Gulden.
Mit seinen "Schüttbildern" entwickelte Nitsch eine besondere Form der Aktionsmalerei: Auf den Bildträger (Leinwand oder Papier) wird Tierblut oder rote, braune und grüne Farbe geschüttet und gespritzt. Relikte aus seinen Aktionen – Priestergewänder, Werkzeuge und medizinische Instrumente, Tragbahren, blut- oder farbgetränkte Hemden und Kittel – hat Nitsch zu Objekten weiterverarbeitet. In den bis heute das Schaffen des Künstlers bestimmenden Rinn- und Schüttbildern gelingt es, in einer Art Selbsthypnose den Prozess der Aktionsmalerei in eine liturgische Handlung umzuwandeln, die zugleich dionysischer Taumel ist.
1995 inszenierte Nitsch an der Wiener Staatsoper die Oper "Hérodiade" von Jules Massenet. Er gestaltete auch zahlreiche Bühnenbilder, darunter für die Oper "Satyagraha" von Philip Glass im Festspielhaus St. Pölten (2001). Der einst umstrittene Künstler wurde 2005 mit dem "Großen Österreichischen Staatspreis" ausgezeichnet, Schauplatz seiner 122. Aktion am 19. November dieses Jahres war das Burgtheater. 2007 wurde das Hermann Nitsch Museum in Mistelbach eröffnet, das 50 Jahre künstlerischen Schaffens präsentiert.