Enea Silvio Piccolomini (Papst Pius II.)


*18.10.1405 bis †15.8.1464

Beschreibung Wiens

Die berühmte "Beschreibung Wiens" des Enea Silvio de Piccolomini ist die älteste Beschreibung der Stadt und entstand vermutlich 1450/51. Sie ist in zwei Fassungen als Teil seiner "Historia Austrialis" (2. und 3. Redaktion) überliefert. Rudolf Wolkan, der Herausgeber der Briefliteratur Piccoliminis, hielt die Beschreibung für einen Brief an einen Basler Bekannten und gab sie daher als Brief zum Jahr 1438 heraus (FRA II/61 n. 27), was inzwischen als überholt gilt.
Wien wird von Piccolomini als reiche, imposante Stadt geschildert, deren Schönheit nur von den mit Holz statt Ziegeln gedeckten Dächern beeinträchtigt wird: eine prachtvolle Stadt mit riesigen unterirdischen Weinkellern, gepflasterten Straßen, wundervollen Kirchen und reichen Klöstern, aber einer schlechten Hochschule; eine Stadt, die vom Wein lebt, in der Unmengen gegessen und getrunken wird, es täglich zu Raufereien kommt, Morde häufig sind; eine Stadt der Aufsteiger, Fremden, Zecher und Dirnen, ohne Bindung an Tradition, Moral und Recht, wo sich Frauen die Ehemänner frei wählen dürfen. Piccolominis Urteil ist für die Wiener Bürger und Bürgerinnen vernichtend, einseitig und bewusst subjektiv. Wien war im 15. Jahrhundert offenbar eine Stadt der "unbegrenzten" Möglichkeiten, nicht nur für Männer, sondern durchaus auch für Frauen.
Folgende Auszüge der "Beschreibung Wiens" sind der Übersetzung von Theodor Ilgen ("Die Geschichte Kaiser Friedrichs III. von Aeneas Silvius", Leipzig 1889) entnommen:
- Mauern, Häuser, Straßen:
[...] Wien also wird von einem Mauerringe, der zwei Tausend Schritte lang ist, eingeschlossen; sie hat bedeutende Vorstädte, die ihrerseits von breiten Gräben und Wällen umgeben sind. Aber auch die Stadt selbst hat einen mächtigen Graben, und davor einen sehr hohen Wall. Hinter dem Graben kommen die dicken und hohen Mauern mit zahlreichen Türmen und Vorwerken, wie sie für die Vertheidigung geeignet sind. Die Häuser der Bürger sind geräumig und mit reicher Ornamentik versehen, dabei aber in ihrer Anlage solide und fest. Überall findet man gewölbte Toreingänge und breite Höfe [... Man] hat [...] hier heizbare Zimmer, welche von ihnen 'Stuben' genannt werden; denn nur auf diese Weise bewältigt man des Winters Strenge. Fenster und Glas lassen von allen Seiten das Licht durch, die Tore sind meist von Eisen. In ihnen hängen sehr viele Singvögel [...] Für Pferde und Lastvieh aller Art hat man geräumige Ställe. Die hohe Front der Häuser gewährt einen prächtigen Anblick. Nur das macht einen unschönen Eindruck, dass man die Dächer meist mit Holz deckt, nur wenige mit Ziegeln. Im übrigen bestehen die Häuser aus Steinmauern. Innen und außen erglänzen die Häuser von weißem Anstrich. Tritt man in ein beliebiges Haus, so glaubt man in den Palast eines Fürsten gekommen zu sein [...] Die Weinkeller sind so tief und geräumig, dass man sagen könnte, es gäbe in Wien unter der Erde ebenso gut Gebäude, wie über der Erde [...] Der Plan der Straßen ist mit festen Steinen gepflastert."
- Kirchen und Klöster:
[...] Den Heiligen im Himmel und dem höchsten Gott sind geräumige, prachtvolle Kirchen geweiht, erbaut aus behauenen Steinen, hochgewölbt, durch ihre Säulenreihen bewundernswert. Heiligenreliquien hat man sehr zahlreiche und kostbare, in Silber, Gold und Edelsteine gefasst. Der Kirchen Schmuck ist großartig, reich das Gerät. Die Priesterschaften sind zum Überfluß mit Gütern dotiert [...] Sehr viele Häuser in der Stadt haben geweihte Kapellen und eigene Priester. Die vier Bettelorden sind von Armut weit entfernt; die Schotten und die regulierten Chorherren des heiligen Augustin werden für sehr reich gehalten, desgleichen die frommen Nonnen und die heiligen Jungfrauen. Auch gibt es dort ein Kloster, zum heiligen Hieronymus genannt, in das reuige Dirnen aufgenommen werden; sie singen Tag und Nacht Hymnen in deutscher Sprache. Fällt von ihnen eine in das frühere Laster zurück und wird dabei ertappt, so wird sie in die Donau gestürzt. Übrigens führen sie dort ein keusches und frommes Leben; selten hört man von ihnen üble Nachrede [...] 
- Universität und Studenten:
[...] Ferner ist in Wien auch eine Hochschule der freien Künste, der Theologie und des kanonischen Rechts. [...] Zwei vortreffliche Theologen haben sich hier ... besonders hervorgetan: Heinrich von Hessen [...] der Schwabe Nikolaus Dinkelsbühl [...] Dann ist heutigen Tags noch dort Thomas Haselbach [Thomas Ebendorfer], ein nicht unberühmter Theologe, der auch ganz nutzbringende Geschichtswerke schreiben soll; ich würde seine Gelehrsamkeit lobend anerkennen, wenn er nicht zweiundzwanzig Jahre lang über das erste Kapitel des Jesaia gelesen hätte und bis zur Stunde noch nicht zum Abschluß gekommen wäre [...] Im übrigen bekümmern sie sich weder um Musik noch um Rhetorik, noch gar um Metrik, obgleich man den, der Magister werden will, dazu veranlasst, einige Verse und Briefe, die von anderen verfasst sind, ohne Vorbereitung vorzutragen. Rede- und Dichtkunst sind bei ihnen [...] fast vollständig unbekannt; von ernsthaften Studien merkt man wenig [...] Die Studenten selbst übrigens fröhnen dem Vergnügen; nach Wein und Speise sind sie lüstern. Wenige gehen als Gelehrte aus ihnen hervor. Freilich stehen sie auch unter keiner Zensur; Tag und Nacht streifen sie umher und verursachen den Bürgern großen Verdruss [...]
- Lebensmittel und Wein:
[...] Es ist kaum zu glauben, wie viel Lebensmittel Tag für Tag in die Stadt geschafft werden. Mit Eiern und Krebsen langen viele Wagen voll an. Mehl, Brot, Fleisch, Fische, Geflügel werden in gewaltigen Mengen zugeführt; und doch, sobald der Abend anbricht, bekommt man von diesen Sachen nichts mehr zu kaufen. Die Zeit der Weinlese dehnt sich hier bis in die vierzig Tage aus; aber kein Tag vergeht, an dem nicht 300 mit Wein beladene Wagen zwei- ja dreimal einfahren. 1200 Pferde spannt man täglich an, um die Weinernte einzubringen [...] Es ist nicht zu sagen, welche ungeheure Masse Wein eingefahren wird, der teils in Wein selbst getrunken, teils ins Ausland die Donau aufwärts unter großen Anstrengungen versandt wird. Von dem Wein, der in Wien einzeln verkauft wird, gehört der zehnte Pfennig dem Kaiser. Diese Steuer führt der Kammer jährlich 12.000 Goldgulden zu. Im übrigen lasten auf den Bürgern nur wenige Agaben [...] Wein im Hause zu verkaufen gilt nicht für herabwürdigend. Fast alle Bürger halten Weinkneipen, heizen Stuben, richten eine Küche ein und ziehen Zecher und Dirnen heran, denen sie etwas gekochtes Essen umsonst verabreichen, damit sie umso mehr trinken [...]
- Sicherheit:
[...] In einer so großen und so bedeutenden Stadt passieren aber nun auch viele Unregelmäßigkeiten; bei Tag und Nacht kommt es zu Reibereien, die förmlichen Treffen gleichen [...] Selten geht eine Festlichkeit ohne Totschlag hin, Morde werden häufig begangen. Sobald es Streit gibt, ist niemand da, der die Hadernden trennte; weder die städtischen Behörden, noch die Fürsten tun etwas, wie es billig wäre, zur Verhütung so großer Übelstände [...]
- Wiener und Wienerinnen:
[...] Das gewöhnliche Volk frönt dem Bauch, ist gefräßig [...] ein zerlumptes, plumpes Pack. Dirnen gibt es in sehr großer Zahl; selten begnügt sich eine Frau mit einem Mann. Sobald adelige Herren zu den Bürgern kommen, nehmen sie deren Frauen zu einer Unterredung unter vier Augen bei Seite; die Männer bringen Wein herbei, verlassen das Haus und machen den Adeligen Platz. Die meisten Mädchen wählen sich ihre Männer ohne Vorwissen ihrer Väter. Witwen heiraten noch während der Trauerzeit ganz nach ihrem Belieben. Wenige Leute leben in der Stadt, deren Voreltern die Nachbarschaft kennt; alte Familien sind selten, sie sind fast sämtlich Eingewanderte oder Fremdbürtige. Reiche, aber vom Alter gebeugte Kaufleute heiraten junge Mädchen und lassen sie sehr bald als Witwen zurück. Diese nehmen dann zu Männern Jünglinge aus dem Kreise der Hausgenossen, mit denen sie schon oft ehebrecherischen Umgang gehabt haben. Auf diese Weise entpuppt sich der, welcher gestern noch arm war, heute als reicher Mann. Dagegen nehmen diese nun wieder, wenn sie ihre Frauen überleben, andere, und so geht die Sache im Kreise fort; nur selten folgt der Sohn auf den Vater. Bei ihnen [den Wienern] gilt ein Gesetz, welches dem überlebenden Ehegatten die Hälfte der Güter des verstorbenen Gemahls zuspricht. Das Recht, Testamente zu machen, ist uneingeschränkt, daher verschreiben denn auch Männer ihren Frauen, Frauen ihren Männern ihr Vermögen. Der Erbschleicher sind viele, welche dadurch, dass sie den alten Herren schön tun, es zu bewirken wissen, dass sie zu Erben eingesetzt werden. Es soll auch sehr viele Frauen geben, die die Männer, welche ihren Frauen zur Last sind, durch Gift bei Seite schaffen. Fest steht, dass nicht selten von den Adeligen Bürger getötet worden sind, welche ihre Frauen mit Worten hart angelassen, weil sie Buhlen am Hof gehabt [haben].
- Recht:
Das Recht ist ganz und gar käuflich; die, welche dazu die Mittel haben, sündigen ohne Strafe, die Armen [...] trifft der Gerichte Härte [...] Die Exkommunikation fürchten die Wiener nur insofern, als sie dem Ruf schädlich oder von zeitlichem Nachteil begleitet ist [...] Außerdem halten sie die kirchlichen Feiertage gar nicht streng ein. Fleischwaren werden an jedem Festtag feilgeboten.