Entstehung des Leopoldkultes
In Klosterneuburg wurde das Andenken des Stifters Leopold besonders gepflegt. Am Todestag, dem 15. November, wurde für sein Seelenheil gebetet, auch die bald nach 1194 nachgewiesene Beleuchtung des Grabes geschah zu seinem Gedenken. Die Erinnerung über den des Stifters Tod hinaus vor allem durch das Gebet zu pflegen, das war die Gegenleistung der geistlichen Institution, die dem Stifter ihr Entstehen und Überleben verdankte, denn das Stiftungsgut sicherte den Bestand des Klosters. Auf diese Weise blieben die Stifter im Gedächtnis der Lebenden und wurden Teil der Hausgeschichte und der Identität des Klosters. Geschichtliche Aufzeichnungen über adelige Familien entstanden oft in den von ihnen gegründeten Klöstern, und nicht selten entwickeltes sich aus der Gedächtnispflege an den Begräbnisstätten ein Kult.
Nicht ganz 50 Jahre nach dem Tod des Markgrafen (1136) kam es in Klosterneuburg zur ersten kurzen Erzählung über den Markgrafen und seine Familie, der hier erstmals den Beinamen "der Fromme" erhält. Das so genannte "Chronicon pii marchionis" ist als Einschub in einer Klosterneuburger Annalenhandschrift aus dem 13. Jahrhundert überliefert. Darin wird berichtet, dass sich Leopolds Frömmigkeit und sein von Gott gesegnetes Leben in seinen frommen Stiftungen, in der Heirat der Kaisertochter Agnes und in seinen zahlreichen Kindern und deren Werdegang zeigt. Der kurze Bericht wurde zur Grundlage aller späteren Erzählungen über den Markgrafen, die vor allem im 14. Jahrhundert um Wundertaten erweitert und legendär ausgestaltet wurden.
Ein besonderer Förderer des Leopoldkultes war der Klosterneuburger Propst Stephan von Sierndorf (1317-1335). Der Kapitelsaal mit dem Grab wurde zur Andächtsstätte umgewandelt und ein Verzeichnis der sich am Grab ereignenden Wunder angelegt. Am 15. September 1326 erhielt das Stift den ersten Ablass für den Besuch des Grabes, das zum Ziel von zahlreichen Wallfahrern wurde, darunter Herzog Albrecht II. und seine Familie im Jahr 1343. Möglicherweise kam es schon auf dessen Anregung zum Antrag auf Heiligsprechung. Unter seinem Sohn Herzog Rudolf IV. setzte 1358 Papst Innozenz IV. eine Untersuchungskommission für die Heiligsprechung ein. Die Angelegenheit verlief zwar im Sand, was der Verehrung Leopolds aber keinen Abbruch tat. Als bärtiger, gütiger Fürst in wallendem Mantel (blau mit goldenen Adlern bestickt), der in der Not half, wurde er zum Inbegriff des idealen Fürsten, dessen persönliche Lebensweise und segensreiche Herrschaft Wohlstand und Glück des Landes garantiert. Er war zum "Oberhaupt" der Babenberger geworden, mit dem gleichsam die "Landesgenealogie" und damit die Geschichte des Landes begann, die von den Habsburgern weitergeführt wurde. Sie stellten sich durch die Förderung des Leopoldskultes ganz bewusst in die babenbergische Tradition.
Leopolds besondere Rolle als späterer Landesheiliger geht vor allem auf das 14. Jahrhundert zurück. Damals entstand eine ausführliche Lebensgeschichte mit der "Schleierlegende", der legendären Gründungsgeschichte des Stiftes: Die Wiederauffindung des verlorenen Schleiers der Markgräfin Agnes wurde erstmals 1371 überliefert. Einzelne Objekte wurden dem Markgrafen zugeschrieben, wie ein Kästchen aus Elfenbein, das zu seinem "Schreibzeug" wurde, oder der blaue, mit Gold bestickte Brokat-Ornat, der "Markgrafen-Ornat", aus dem das Fünf-Adler-Wappen entstand - das Landeswappen.
Die Heiligsprechung am 6. Jänner 1485 nach einem fast 20 Jahre dauernden Kanonisationsprozess war der Endpunkt einer Entwicklung, die mit der offiziellen Erhebung zum Landespatron 1663 ihre konsequente Bestätigung fand. Der Markgraf des beginnenden 12. Jahrhunderts war schon längst zum Symbol des Landes geworden.
(Quelle: G. Wacha, Die Verehrung des heiligen Leopold, in: Der heilige Leopold - Landesfürst und Staatssymbol, Katalog des NÖ Landesmuseums, Neue Folge Nr. 155, 1985, S. 33ff.)